Dieses Album strotzt nur so vor Rock-Klischees - musikalisch, vor allem textlich. Nun könnte man sagen: Was ist vom ewigen Schockrocker Alice Cooper auch anderes zu erwarten? Der Mann bejubelt seit fünf Jahrzehnten in seinem größten Hit, dass die Schule aus ist. Nun, der 75-Jährige schafft es auf seinem insgesamt 29. (!) Studioalbum immer noch zu schocken - und zwar mit Qualität. Die zwölf neuen Nummern auf „The Road“ (und ein erstaunlich gelungenes Cover des Who-Klassikers „Magic Bus“) klingen trotz altbewährter Maschen frisch, hart, energetisch und machen großteils erstaunlich Spaß.
Das liegt vor allem daran, dass es dieser Ikone des US-Hardrock mit geradezu britischem Humor und Selbstironie gelingt, sich virtuos nicht ernst zu nehmen. Das macht auch gefühlt in 1000 anderen Songs gehörte Textbausteine unterhaltsam. Bestes Beispiel: der wohl klassischste neue Alice-Cooper-Song auf „Road“, „White Line Frankenstein“.
Den Titel muss man nicht wörtlich übersetzen, Cooper beschreibt sich hier quasi als Frankenstein auf Kokain. Schon in den ersten Zeilen zitiert er ein halbes Blues- und Rock-Lexikon über einsame, verfluchte, bis auf die Knochen bösartige Wölfe auf der Straße: „Well, I’m a big bad wolf and I drive alone / I’m the seventh son and bad to the bone / I feel a little bit dead but tonight I’m alive / Gotta load in my nose, gonna drive, drive, drive.“
Viel Selbstironie
Cooper bedient alle erdenklichen Tour-Klischees um Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll in konzentrierter Form. Ohne die offensichtliche Selbstironie hätte Cooper heutzutage viel zu erklären - wer bei „Big Boots“ (große Stiefel) an große Brüste (Big boobs) wie im Rammstein-Song denkt, ist vielleicht selbst schuld. Die Art, wie Cooper das von Rage-Against-The-Machine-Gitarrist Tom Morrello aufgemöbelte Frankenstein-Stück singt, macht Erklärungen überflüssig. Er schauspielert den Text etwa so exaltiert wie Tim Curry in der „Rocky Horror Picture Show“. Ein Ansatz, der schon die Eingangsnummer „I’m Alice“ reizvoll macht.
Überhaupt macht der 1948 als Vincent Damon Furnier in Detroit geborene Sänger das Optimum aus seinen stimmlichen Möglichkeiten. Er war ja schon immer eine Art Bob Dylan der härteren Töne, kein Gesangsgott wie die jungen Ian Gillan und Robert Plant oder gar Freddie Mercury. Aber er bleibt über die kompletten 48 Minuten interessant. Mehr braucht dieses Konzeptalbum über 50 Jahre Tourleben nicht. Und Cooper reiht sich so weiterhin in die Reihe der Altrocker von Deep Purple bis Rod Stewart ein, die im Spätherbst ihrer Karriere im Studio noch mal zu großer Form auflaufen.
Top-Besetzung live im Studio
Aber „Road“ lebt vor allem vom knackigen Sound, der auf Vinyl noch an Dynamik gewinnt. Produziert wurde das Album vom Kanadier Bob Ezrin, dessen eindrucksvolle Karriere ein Spektrum von Lou Reed, Pink Floyd, Peter Gabriel und Andrea Bocelli über die Deftones und Thirty Seconds To Mars bis Deep Purple, Kiss oder Aerosmith umfasst. Kein Wunder, dass auf „Road“ alle erdenklichen Spielarten von Rock ausgesprochen authentisch klingen. Zumal alles live eingespielt worden sein soll.
Und da waren natürlich keine Anfänger am Werk. Nita Strauss (u.a. bekannt durch The Iron Maidens und als Solokünstlerin) gilt als eine der besten Gitarristinnen der Welt - ihre Soli unterstreichen das. Dazu lässt es Coopers altgediente Live-Band mit den Gitarristen Ryan Roxie (Slash’s Snakepit) und Tommy Henriksen (Hollywood Vampires, Warlock), Bassist Chuck Garric (Dio, L.A. Guns) sowie Drummer Glen Sobel (Richie Sambora, Mötley Crüe) kompetent krachen. Egal, ob mit Metallica-Riff („The Big Goodbye“), Thin-Lizzy-Groove (im extrem witzigen „Rules Of The Road“), mehrstimmigem Stones-Appeal („Big Boots“) oder Scorpions-Intro in der Vorstellungsnummer „I’m Alice“. Live wird das top klingen. So kann man sich auf das 30. Album von Alice Cooper nur freuen.
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