Literatur regional

Und wo soll man hier die Kirche lassen?

Hans Thill schreibt über „Neue Dörfer“

Von 
Thomas Groß
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Was schwingt nicht alles mit, wenn man von Dörfern redet oder das Wort Dorf allein schon hört : Heimeligkeit, Provinzialität, Überschaubarkeit, Enge und noch mehr. Vor knapp zehn Jahren hat der Heidelberger Autor Hans Thill ein „Buch der Dörfer“ veröffentlicht. „Neue Dörfer“ heißt nun sein neuer Band. „Kleine Prosa“ steht zur Charakterisierung im Untertitel, tatsächlich aber sind diese Kurzprosatexte ziemlich lyrisch, wortschöpferisch und hoch konzentriert.

Der Klang ist echt

Eigene Kindheits- und Jugenderinnerungen des 1954 geborenen Autors, der auch Leiter des Künstlerhauses Edenkoben ist, haben sich in dem Buch vielleicht niedergeschlagen – oder Eindrücke von Reisen, die er in den ländlich geprägten europäischen Osten unternahm. Vor allem aber sind diese Texte sehr originell, klangverliebt und gedankenreich. Thills Dörfer stehen für vieles, gleich zu Beginn heißt es von einem, es „atmet und bläst, es hat Kalorien verbraucht, der Kühlschrank ist leer“, und also lässt es das lyrische Ich beziehungsweise der Erzähler hinter sich und läuft auf der Landstraße zum nächsten Dorf. Und dann wieder zum nächsten, wo es auch nicht vielversprechend ist: „Gegen die HÜTTEN dieses Weilers ist ein Haufen Steine ein Palast“, heißt es da mit ironischer Anspielung auf Georg Büchners Motto „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Expressionistisch, surreal oder auch dadaistisch geht es bei Hans Thill weiter. Die Frage lautet dann nicht biblisch: Soll ich meines Bruders Hüter sein?, sondern knapper, ins Groteske gewendet: „Bin ich der Hut meines Bruders?“

Es gibt hier wahrlich allerhand Dörfer, „klassische“, „nützliche“, „satte“, „wilde“ werden sie genannt; die „sprichwörtlichen“ kommen fast zum Schluss, den dann konsequenterweise „Die aufgegebenen Dörfer“ markieren. Erst recht solche können einem auch ganz real begegnen. Ansonsten ist offenkundiger Wirklichkeitsbezug hier keine bevorzugte Größe. „Das nächste Dorf, so echt es klingt, noch keiner hat es gesehen“, heißt es einmal. Sprachspiele liebt dieser Autor, kritische Spitzen setzt er aber auch. Programmatisch formuliert er: „Erzähl mal was, Zeitung lesen kannst du, wenn du tot bist.“ Und er bestätigt selbst die Bedeutung von Erzählen und Fantasie.

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Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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