Berlin. Viel hilft viel: Unter diesem Motto wird in Dänemark seit einigen Jahren die Digitalisierung der Schulen vorangetrieben. Bereits Grundschüler besitzen Smartphones, die Kommunikation läuft digital, Unterrichtsmaterialien werden von digitalen Lernräumen geliefert, Bücher aus Papier nutzen Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler kaum noch. Doch nun hat das Land im Norden einen neuen Kurs eingeschlagen, den man auch als Rückbesinnung auf alte Lernmethoden bezeichnen kann.
Laut Pisa-Studie 2022 verbrachten Dänemarks Schülerinnen und Schüler 5,2 Stunden täglich mit digitalen Geräten allein zu Lernzwecken. Damit stehen sie klar an der Spitze. Der Schnitt der OECD-Nationen liegt bei 3,5 Stunden. Die deutschen Schüler kommen täglich nur auf 2,9 Stunden und damit liegen sie noch hinter Kolumbien, Mexiko, aber natürlich auch hinter den anderen nordischen Ländern wie Schweden, Finnland oder Norwegen. Allerdings liegt Deutschland bei den Lernergebnissen der Pisa-Studie ebenfalls hinter den nördlichen Nachbarn, die als Vorbild für die deutsche Bildungslandschaft gelten.
Dies der mangelhaften Digitalisierung anzulasten, wäre wohl verfrüht. Denn ein neuer, von der dänischen Gesundheitsbehörde in Auftrag gegebener Bericht weist darauf hin, dass es die Konzentrationsfähigkeit von Kindern und ihre schulischen Leistungen beeinträchtigt, wenn sie im Unterricht Bildschirme nutzen. Auch die Schüler selbst klagen über Konzentrationsschwierigkeiten und Lernstörungen. Außerdem sind dänische Kinder stark in sozialen Netzwerken aktiv - und das verdoppelt die hohe Bildschirmzeit der Kinder noch einmal.
Jetzt also die Kehrtwende: Dänemark gibt inzwischen konkrete Empfehlungen, damit in Schulen weniger digital unterrichtet wird. Dazu gehören Smartphone-Verbote und die Rückkehr echter Bücher in den Unterricht. Hausaufgaben sollen die Kinder mit Stift und Papier machen und nicht mit dem Tablet. Außerdem sollen Schulen Zugriff auf ablenkende Websites wie Tiktok, Snapchat oder Youtube blockieren.
Entschuldigung für fehlgeleitete Bildungspolitik in Dänemark
Diese Empfehlungen zur Bildschirmnutzung für Grundschulen und Freizeiteinrichtungen der Agentur für Bildung und Qualität (STUK) wurden auf Wunsch des dänischen Ministers für Kinder und Bildung, Mattias Tesfaye, entwickelt. Tesfaye hatte sich bereits Ende 2023 für die fehlgeleitete Bildungspolitik Dänemarks entschuldigt: „Wir haben eine Generation von Kindern und Jugendlichen im Stich gelassen, indem wir ihnen aus naiver Technikbegeisterung über viele Jahre hinweg die Möglichkeit genommen haben, sich zu vertiefen“, sagte der Bildungsminister der dänischen Zeitung „Politiken“. Man habe die Kinder zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ gemacht, „dessen Ausmaß und Folgen wir nicht überblicken können“.
Børns Vilkår hat mit anderen Organisationen und der dänischen Regierung die Initiative „Switch Off“ ins Leben gerufen, zudem wurde das Projekt ON gegründet - eine Plattform zur digitalen Bildung von Kindern und Jugendlichen. Die Plattform enthält digitale Bildungsgrundsätze und Lehrmaterialien für Schulen. Gleichzeitig lehnt sich ein Aktionsbündnis angeführt von der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen gegen Tech-Firmen wie Meta auf, der Facebook, Instagram und Whatsapp gehört. Das Mindestalter für einen eigenen Zugang zu sozialen Medien soll in Dänemark von bisher 13 Jahren auf 15 heraufgesetzt werden. Auch soll es für Kinder nicht mehr so leicht sein, die Altersgrenze zu umgehen.
Doch was kann die dänische Umkehr bei der Digitalisierung für Deutschland bedeuten? „Die nordischen Länder haben es mit der Digitalisierung übertrieben. Es ist eben nicht sinnvoll, alles zu digitalisieren und alle Schulbücher abzuschaffen. Auch haben die Dänen versäumt, die Lehrkräfte mitzunehmen“, sagt Ulrike Stadler-Altmann. Die Professorin hat den Lehrstuhl für Schulpädagogik an der Berliner Humboldt-Universität inne. Die Expertin kritisiert auch den Weg, den Deutschland bisher gegangen ist. Die Frage sei, ob der Digitalpakt das richtige Mittel war. Statt Milliarden, die nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet werden, mahnt sie mehr Lehrerfortbildungen und Schulungen für das Kollegium an. Eine Rückkehr zum analogen Unterricht hält Stadler-Altmann allerdings für realitätsfern: „Kinder müssen den Umgang mit Computern, Internet, sozialen Medien und KI lernen. Schule muss den sinnvollen Gebrauch mit der Technik vermitteln.“
Ähnlich sieht es der bildungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, Thomas Jarzombek. Er hält das Bund-Länder-Programm für ein Erfolgsmodell und schlägt einen Mittelweg vor, „der den Einsatz digitaler Geräte im Unterricht genau dann vorsieht, wenn dies didaktisch und pädagogisch sinnvoll ist“. Hirnforscher Manfred Spitzer setzt eher auf einen Aufschub. Der Ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Ulm warnt vor gesundheitlichen Schäden durch digitale Medien. Dies sei in der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur eindeutig belegt. „Es ist umso mehr ein Gebot der Stunde, unsere Kinder vor diesen Schäden zu schützen“, sagt der Hirnforscher. Seine Forderung: „Es wird Zeit, dass wir digitalen Hype durch belastbare Fakten ersetzen.“
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