Wer an bekannte Wintersportorte in der Schweiz denkt, dem kommt sofort St. Moritz in den Sinn. Aber gleich danach eben Davos. Noch Ende März bieten sich dem Skifahrer selbst auf halber Berghöhe mit 2200 Metern ideale Bedingungen. Gleichwohl: Davos stellt sich derzeit breiter auf. Setzt nicht nur auf sein wintersportliches Profil, sondern auch auf sein kulturelles: Auf den Spuren von Thomas Mann, der hier seinen legendären „Zauberberg“ spielen lässt, und des „Brücke“-Malers Ernst Ludwig Kirchner.
Davos, 1543 Meter hoch, ist ein klassisches Straßendorf, wie wir es in unseren Breiten aus dem Odenwald kennen. Langgestreckt entlang einer zentralen Achse, der Panoramastraße, in einem Tal, zu beiden Seiten die eindrucksvollen Berghänge, die als ideale Wintersportpisten dienen.
Doch um es gleich zu sagen: Davos selbst ist keine hübsche Stadt. Wer Häuschen im Alpenstil mit Fassadenmalerei erhofft, der wird enttäuscht. Selbst das Tourismusbüro kommt um diese Wahrheit nicht herum, wenn es zum hiesigen Architekturstil formuliert: „Man mag ihn oder nicht. Er lässt niemanden kalt.“ Wenn Tourismusmanagerin Aurelia Schmid es sagt, klingt es charmanter, ja sogar richtig positiv: „Davos ist für die Liebe auf den zweiten Blick.“
Tradition als Lungenkurort
Geprägt ist es von Bauwerken der 1960-er und 1970er Jahre – und dies zumeist mit Flachdächern. Grund: Einst befinden sich in vielen Häusern große Terrassen – für Liegestühle ausgerichtet zur Sonne. Denn mit der besonders gesunden Luft in Davos wird die Tuberkulose kuriert, die Pandemie des 19. Jahrhunderts. Um die Terrassen vor Schneeabgängen von den Dächern zu bewahren, werden diese flach konzipiert. Als 1946 mit Streptomyzin das Allheilmittel gegen Tbc entdeckt ist, bricht die Kurbranche zusammen, Davos muss sich neu erfinden, aus den Sanatorien werden Hotels. Doch der Baustil bleibt, ist als „Davoser Flachdach“ in der Architektur ein Begriff.
Verewigt ist die frühere Epoche von Davos im Roman „Zauberberg“ von Thomas Mann, der sie hautnah erlebt. Seine Frau Katia ist hier 1912 für sechs Monate im Sanatorium. Im Frühjahr 1912 besucht er sie, wird von der morbiden Atmosphäre inspiriert zu seinem Klassiker. Dem Helden Hans Castorp legt Mann seine Sicht der Welt in den Mund: von Krankheit und Sterben, Leben und Liebe, Krieg und Demokratie. 1924 ist der „Zauberberg“ fertig, wird ein Bestseller, fünf Jahre später erhält sein Verfasser den Nobelpreis in Literatur. Klar, dass Davos aus diesen Zusammenhängen etwas macht.
Ein vor kurzem eigens konzipierter Thomas-Mann-Weg lässt die Stationen vor Ort erleben: beginnend in der Ebene beim „Haus am Stein“, in dem Mann vom 15. Mai bis 12. Juni 1912 logiert; über das 1911 eröffnete Sanatorium, in dem seine Frau behandelt wurde, das seit 1957 „Waldhotel“ ist und das in einem nachgebauten Zimmer an den Aufenthalt seiner berühmtesten Patientin erinnert; bis hinauf zur „Schatzalp“.
Ursprüngliche Atmosphäre
Dieses 1900 eröffnete Haus hat mit Thomas Mann nichts zu tun. Aber es lässt die damalige Atmosphäre erahnen, weil es nahezu unverändert geblieben ist – außen ohnehin, aber teilweise auch innen. Die Terrassen, auf denen die Patienten einst gute Luft tanken, dienen noch heute dem Sonnenbad. Einige Gästezimmer sind noch so wie vor 100 Jahren. Und auch das Reglement. Die Kleiderordnung für das Abendessen lautet: „Lange Hosen für Herren, keine T-Shirts ohne Ärmel, keine Shorts, keine Jogging-Kleidung“. Wer den Weg zur Schatzalp auf 1861 Metern Höhe nicht zu Fuß nehmen will, für den steht eine Zahnradbahn als bequeme Alternative bereit.
Ein weiterer berühmter Patient ist Ernst Ludwig Kirchner. 1917 sucht der Vertreter des Expressionismus und Mitbegründer der „Brücke“ hier Heilung, bleibt und setzt sein Lebenswerk fort, vor allem mit den eindrucksvollen Landschaften als Motiven. In Nazi-Deutschland gilt er derweil als „entartet“, wird aus der Berliner Akademie ausgeschlossen. Zu viel für ihn: 1938 nimmt er sich das Leben und wird auf dem Friedhof von Davos begraben.
Eine Auswahl seiner farbintensiven, großflächigen Werke ist in einem eigens ihm gewidmeten Museum zu sehen – gestiftet von dem Kunsthändler Roman Norbert Ketterer. Mit seinen vier Kuben in grünem Milchglas ist das vor 30 Jahren eröffnete Gebäude selbst ein Kunstwerk.
Das mag man auch vom Kongresszentrum sagen, optisch eher an eine nach außen gewendete Sauna erinnernd, im Innern jedoch technisch top, nicht zuletzt dank des neuen 1800 Gäste fassenden Saales. Hier steigt regelmäßig das Weltwirtschaftsforum, zu dem Staatschefs aus aller Welt anreisen. An solchen Tagen (in diesem Jahr im Mai) herrscht Ausnahmezustand im Ort.
Nicht nur als Donald Trump kam. Laut Presseberichten wohnte er im 2013 eröffneten 5-Sterne-Hotel „AlpenGold“, wegen seiner bronzefarbenen Hülle aus Metall und seiner Form auch „Goldenes Ei“ genannt.
Das Kontrastprogramm findet sich auf der anderen Seite des Dorfes: das 1875 eröffnete „Belvedere“ im Jugendstil. Die Galerie zeigt die berühmten Gäste: 1880/81 ist Robert Louis Stevenson („Die Schatzinsel“) einen ganzen Winter hier, 1894/95 kommt Sir Arthur Canon Doyle („Sherlock Holmes“) zu zwei Saisonen. Vico Torriani startet seine Karriere als Showstar der 1950/60er Jahre in diesem Hotel – als Kellner.
Apropos prominent: Wem das alles nicht reicht, der fährt ins benachbarte Klosters. Wer Glück hat, der kann im Ort auf Prinz Charles stoßen, der seit 40 Jahren im „Walserhof“ logiert. Doch das ist dann schon wieder eine ganz andere Geschichte.
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