Queeres Leben

Wie man in Mannheim queerfreundliche Praxen findet

Falsche Pronomen, veraltetes Wissen und diskriminierende Sprache: Queere Menschen erfahren in Praxen oft Diskriminierung. Manche gehen gar nicht mehr hin. Eine Online-Plattform kann helfen - wie ihr euch beteiligen könnt

Von 
Esther Lehnardt
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Wie finde ich eine queerfreundliche Praxis in Mannheim? Queermed hilft. © Nadzeya Haroshka/IStock

Mannheim. Stell dir vor, du bist krank und dann musst du dich auch noch mit abwertenden Sprüchen auseinandersetzen - oder die Praxis, die du besuchst, nimmt dein Problem gar nicht erst ernst. Queere Menschen und andere Personen, die unter Diskriminierung leiden, erleben das häufig. Doch wie findet man eine Praxis, die sensibel ist? Neben Empfehlungen aus der Community ist Queermed eine Möglichkeit - und auch für Mannheim gibt es Empfehlungen. 

Was ist Queermed?

Die Plattform Queermed bietet ein Verzeichnis von medizinischen Fachkräften, die queerfreundlich und diskriminierungsbewusst arbeiten. „Diskriminierung hört nicht vor Praxistüren auf. Dort arbeiten Menschen, die Vorurteile haben und alle in einem diskriminierenden System aufgewachsen sind“, sagt Sara Grzybek. Grzybek hat Queermed 2021 gegründet, nachdem Grzybek über Social Media eine ähnliche Plattform in Österreich entdeckt hatte. 

Sara Grzybek hat Queermed gegründet und kämpft mit dem Verzeichnis und zahlreichen Bildungsangeboten gegen Diskriminierung im Gesundheitsbereich. © Fadi Elias

Weil wegen der Pandemie wenig ehrenamtliches Engagement in Person möglich war, baute Grzybek die Plattform auf, informierte sich über Webdesign und gestaltete die Seite. Nach drei Monaten war das Verzeichnis online. Mittlerweile gibt es dort über 1300 Praxis-Empfehlungen - quer durch alle Fachrichtungen. Auch Praxen aus Mannheim und der Region finden sich dort. 

Das Verzeichnis richtet sich an Menschen, die im Gesundheitssystem Diskriminierung erfahren. Wichtig ist Grzybek, dass die Plattform einen intersektionalen Ansatz verfolgt, sich also nicht nur an queere Menschen richtet, sondern auch andere marginalisierte Gruppen abdeckt. 

Sie richtet sich unter anderem an 

  • queere Menschen
  • trans und nonbinäre Personen
  • People of Colour
  • Menschen mit HIV
  • Musliminnen und Muslime
  • Jüdinnen und Juden
  • sowie Menschen mit verschiedenen Körpergrößen und Behinderungen. 

Wie funktioniert Queermed?

Queermed ist ein Angebot von Communitys für Communitys. Das heißt, die Empfehlungen kommen von Menschen, die selbst in Praxen waren, dort positive Erfahrungen gemacht haben und diese teilen wollen. 

Filtern kann man über Städte, Fachrichtung, aber auch Besuchsgrund, Sprachen, Barrierefreiheit und Personengruppe. Die Idee ist: Nur eine queere Person, kann wirklich einschätzen, ob eine Praxis queerfreundlich ist. Genau wie nur eine Person, die von rassistischer Diskriminierung betroffen ist, einschätzen kann, ob die Fachkräfte an dieser Stelle sensibilisiert sind. 

Je bekannter Queermed wird, desto hilfreicher kann es sein.
Sara Grzybek hat Queermed gegründet

Sara Grzybek arbeitet mittlerweile auch mit Beratungsstellen zusammen, die ihre Empfehlungen basierend auf Beratungskontexten einpflegen. Diese sind aber auf der Website klar als solche gekennzeichnet, um Transparenz zu gewährleisten.

Mehr als eine Empfehlungsplattform

  • Queermed als Projekt ist übrigens mehr als nur eine Empfehlungsplattform. Sara Grzybek bietet auf der Webseite zusätzlich Infomaterial für medizinisches Fachpersonal an.
  • Das Material können alle Interessierten zum einen auf der Seite anfordern. Wer einen niedrigschwelligen Einstieg sucht, kann sich zunächst den Leitfaden für Praxen durchlesen.
  • Eine ausführliche Bücherliste auf der Seite bietet außerdem die Möglichkeit, tiefer in einzelne Themengebiete einzusteigen, bei denen man selbst das Gefühl hat, noch Nachholbedarf zu haben.
  • Grzybek bietet darüber hinaus Workshops oder Vorträge zu zahlreichen Themen an.

Die Plattform verzeichnet inzwischen über 1300 Empfehlungen, vor allem in Großstädten wie Berlin. In weniger dicht besiedelten Regionen, insbesondere im Osten Deutschlands, sind die Zahlen jedoch noch niedrig. Auch Mannheim hat lediglich elf Empfehlungen. In Heidelberg sind es 26. 

„Je bekannter Queermed wird, desto hilfreicher kann es sein“, sagt Sara Grzybek und arbeitet konstant daran, das Verzeichnis bekannter zu machen, zum Beispiel über Social Media. 

Diskriminierung kann krank machen: Warum ist Queermed wichtig?

Das ist wichtig, denn Diskriminierung im Gesundheitswesen kann gravierende Folgen haben. Laut dem Afro-Zensus von 2020 haben zum Beispiel über 60 Prozent der afrodeutschen Menschen in Deutschland Diskriminierung im Gesundheitsbereich erfahren. Solche Erfahrungen führen dazu, dass viele Betroffene ärztliche Hilfe meiden, selbst wenn sie sie dringend benötigen. Die Konsequenzen sind teilweise gravierend. Zur queeren Lebensrealitäten im Gesundheitsbereich gibt es noch kaum Studien. 

Wie findet die Qualitätskontrolle bei Queermed statt? 

Zurück zur Plattform: Wie können sich Menschen sicher sein, dass die Empfehlungen stimmen? „Das Verzeichnis bei Queermed basiert auf Vertrauensbasis“, sagt Grzybek. Grzybek ist sich der Herausforderung bewusst, dass es keine perfekte Sicherheitskontrolle gibt. Deswegen ist auf der Webseite auch von „safer spaces“ (also sichereren Räumen) im Gesundheitswesen die Rede, statt sicheren Räumen. 

„Wir wissen: Es gibt keine absolute Sicherheit, keine vollständig diskriminierungsfreien Räume“, erklärt Grzybek den Begriff. Eine gewisse Qualitätskontrolle findet dennoch statt. Wie bei den Empfehlungen selbst geschieht sie durch die Community. 

© Screenshot queermed-deutschland.de

Queermed wird monatlich von rund 10.000 Menschen besucht. Machen diese bei einem Praxisbesuch andere Erfahrungen, als die beschriebenen, können sie sich an Queermed wenden. Grzybek reagiert auf Nachrichten zu negativen Erfahrungen, indem gegebenenfalls Empfehlungen überprüft und angepasst werden.  „Ich weiß, dass ich an der Stelle einen enormen Vertrauensvorschuss gebe bei den Empfehlungen“, sagt Grzybek. 

Soll es Queermed in Zukunft nicht mehr geben? 

Sara Grzybek hofft, dass das Verzeichnis eines Tages nicht mehr nötig sein wird. So ist Queermed mehr als eine Empfehlungsplattform. Dort gibt es auch Flyer für Praxen, Literaturhinweise und andere Infomaterialien, mit denen dich medizinische Fachkräfte fortbilden können. 

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Für Grzybek gehört diese Bildungsarbeit fest zum Projekt Queermed dazu. Und das kommt an. Grzybek bekommt positive Rückmeldungen von Praxen, die sich über die Empfehlungen freuen und aktiv den Kontakt zu Queermed suchen. Selbst inserieren dürfen die medizinischen Fachkräfte aber nicht - denn Queermed soll eine Plattform von den Communitys für die Communitys bleiben. 

Redaktion Online-Redakteurin und Leiterin des Leben-Bereichs des Mannheimer Morgens

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