Die Beatles und die Stones hätte es nie geben dürfen“, meint Caro, „und Elvis Presley schon gar nicht.“ Bela fragt, von wem Caro überhaupt spreche, ihm seien die Genannten nicht bekannt. „Ach komm’“, sagt Caro, „in einem so elitären Elfenbeinturm lebt selbst ein arroganter Schnösel wie du nicht.“ Er sei Bayern-Fan und liebe so populäre Dinge wie Mozart, das sei ja wohl hochgradig volksnah und Mainstream, beteuert Bela und kratzt sich genüsslich am gepflegten Bart. „Den türkischen Marsch hätte Mozart auch nie schreiben dürfen“, so Caro, „genauso wenig wie die ’Entführung aus dem Serail’ oder die Oper ’Zaide’.“ Das sei alles kulturelle Aneignung gewesen.
„Schmarrn“, sagt Bela, „Mozart hat sich mit einem anderen Kulturkreis, nämlich dem Islam, beschäftigt, das ist doch genau das, was wir von Leuten erwarten, die aus Afrika oder Absurdistan zu uns kommen und was wir selbst auch leisten, wenn wir uns mit Menschen aus anderen Kulturen beschäftigen!“
Die Diskussion erhitzt sich zwar schnell, verschwindet aber hinter einem Gaze-Vorhang eigener Gedanken. Mich erinnert das alles an den Abbruch eines Konzerts neulich in Bern, bei dem weiße Schweizer mit Dreadlocks Reggae gespielt haben, worauf Leute aus dem Publikum dem Veranstalter sagten, sie würden sich dabei unwohl fühlen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Schweizer, die Dreadlocks haben und Reggae spielen, eine tiefe Verehrung für die Menschen haben, die das erfunden haben, und frage mich: Wie weit geht dieses Denken? Dürfen Europäer bald keinen Jazz mehr spielen, weil er von unterprivilegierten Schwarzen entwickelt wurde? Mir scheint tatsächlich, dass das konsequente Weiterdenken einer Vermeidung von kultureller Aneignung zu einer Art neuem Nationalismus und kultureller Abschottung führen könnte, zu etwas Identitärem, das mir Angst macht und gravierende Konflikte heraufbeschwören wird. Außerdem: Sind die Kulturen, über die wir reden, überhaupt homogen? Sie sind es nicht.
„Es geht dabei nicht um kulturellen Austausch“, höre ich Caro plötzlich zetern, „es geht um das Aneignen von Elementen einer kulturellen Identität. Zum. Zwecke. Der. Tri. Vi. A. Li. Sierung. Das ist keine Wertschätzung oder Inspiration. Das erinnert ganz einfach an die miese Tradition von Kolonialismus und historischer Unterdrückung, geht das nicht in deinen kleinen Kopf rein?“
Bela, ganz Bela, sagt sich: Sei schlau, stell dich dumm. Er sagt: „Nein!“ Natürlich weiß er, dass er Caro damit auf die Palme bringt.
Caro, ganz Caro, sagt sich nichts, sondern kann sich nicht zügeln und schiebt ihr Tablett zornig gerade einen Zentimeter zu weit über den Tisch, so dass es kippt und auf den Boden fällt. Caro entweicht und lässt Bela und mich allein zurück.
„Blöde Kuh“, sagt Bela gelassen. Ich muss leider sagen, dass mir hier eine Schlusspointe fehlt. Ich bin hin- und hergerissen zwischen dem großen Respekt vor anderen Kulturen und der Tatsache, dass die Angehörigen dieser anderen Kulturen das alles vielleicht ganz anders sehen …
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