O da treibt jemand ein böses Spiel mit mir. Gebührend wollte ich mich heute eigentlich vom alten Jahr verabschieden, wollte Bilanz ziehen, einen Blick zurück mit Zorn und einen voraus mit Verve wagen, ja: die guten Vorsätzen vom alten Jahr abgleichen und gucken, was man tun kann, damit 2025 nicht noch heißer wird. Pustekuchen. Was soll ich sagen! Es ging mir ein anonymes Schreiben zu. Ich öffnete es mit spitzen Fingern, zog ein Blatt Papier heraus, eine in Times New Roman (12 Punkt) geschriebene Stilkopie meiner Kolumnen, in der ich zum Spielball werde. O Gott, hört ich mich sagen.
Ich zitiere: Wer Detti mal beobachtet, ohne dass er es merkt, sieht einen seltsamen Typen, grau meliert, äh, grauhaarig und mit leicht romantischem Blick. Er – man sieht förmlich den Geist wabern – scheint nachzudenken. Manchmal schaut er aufs Telefon. Manchmal runzelt er die Stirn. Man fragt sich: Was ist denn jetzt los? Irgendwie tut er mir leid in seiner Rolle als einer, der in seinen Kolumnen mit Alya, Bela und Caro immer den Überlegenen spielt, den, der über allem steht und final die dialektische Mega-Lösung aus dem Hut zaubert. Aber gut, Detti braucht das, denke ich, während ich sehe, wie er an seinem schlecht rasierten Kinn rumfummelt und dann, sich unbeobachtet fühlend, viel zu viel Lasagne auf seine Gabel lädt. Ich frage mich, wie er so ist, also privat: Nervt er da auch mit pseudoschlauen Sprüchen?
Ich lasse ein bisschen Zeit verstreichen. Aber irgendwann räuspere ich mich, er dreht den Kopf, und ich sage: „Na?“ Ob ich schon lange da sei, fragt Detti und sagt, er habe gerade von Bela, Alya und Caro für Dienstag eine Einladung zur Silvesterparty mit Karaoke-Singen bekommen: „Alle sollen ihren Lieblingsweihnachtssong mitbringen. Es wird eine Nacht fürs persönliche Geschichtsbuch, haben sie geschrieben“, sagte Detti zu mir und fügte noch hinzu: „Karaoke mit Weihnachtssongs? Die müssen mich hassen.“
Ich bin ja auch echt kein Fan von Karaoke, im Gegenteil: Was da erklingt, lässt mich gleich den Sensenmann rufen hören: Gehe direkt ins Grab. Gehe nicht über Los. Ziehe keine 400 Euro ein. Und George Michaels „Last Christmas“ von Detti gesungen dürfte Höchststrafe für die geschulten Lauscher von Musikgott sein. Zitat Ende.
Zum Glück ist hier kein Platz für mehr, denn es geht dann ganz schön unter die Gürtellinie. Mein Feind hört nicht auf damit. Hinter der ersten Seite folgt eine zweite. Eine dritte. Ich frage mich, ob es sich um einen Stalker handelt: bestimmt! Schrecklich. Aber wer sollte mich stalken und was tue ich nun? Jesus hat ja mal gesagt: Liebet eure Feinde! Also versuche ich, den Stalker zu lieben, die Sache aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Vielleicht bin ich nur ein kleiner Resonanzraum, eine Möglichkeit für ihn (oder sie), eine Modifikation von Triebenergie in künstlerisch-schöpferische Bahnen vorzunehmen. Sublimierung nach Sigmund Freud! Dann hätte die Sache auch noch etwas Gutes.
Aber das hat sie sowieso: Ich musste jetzt gar nicht mit Zorn zurückblicken. Und 2025? Packen wir‘s an. Es wird, wie alle Jahre davor schon, das beste Jahr! Oder?
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