Kolumne #mahlzeit Männer müssen, Frauen dürfen

In einem Kaffeehaus streiten die Freunde von Kolumnist Stefan M. Dettlinger über den neuen Wehrdienst-Vorschlag – und landen im Gleichstellungsdilemma.

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Stefan M. Dettlinger
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Okay, der Wehrdienst wird neu“, sage ich zu Alya, Bela und Caro, während Elin am Daumen lutscht. So sitzen wir in dieser trostlosen Metropolregionskaffeehauskulisse und denken Löcher in die Luft. Caros Blick: finster, giftig. Bela: etwas jointverdächtig lächelnd. Alya: nervös, wahrscheinlich auf Koffein und einer Überdosis Mediennews.

„Ach nee, und schaut euch doch dieses ach so moderne Land an“, lallt Bela, „jetzt haben wir in unserer gleichstellungsgeilen Republik eine neue Maskerade von Fortschritt beim Willst-du-Wehrdienst-leisten-Fragebogen: Mann muss, Frau darf – das ist keine Gerechtigkeit, das ist ein Witz mit zehn Ausrufezeichen – und Hakenkreuzen dahinter!“

„Bela“, sagt Alya, „bist du bekifft? Was hat das mit Nazis zu tun?“ Bela schweigt weitere Löcher in den Raum. Abgesehen vom Hakenkreuzvergleich kann ich Bela aber verstehen, ich sage: „Er hat doch recht, die Frau wird hier zum Glanzgegenstand erhoben, während der Mann das Problem lösen muss: Fragebogen, Musterung, Wehrdienst. Einmal Kanonenfutter, immer Kanonenfutter – ist das Tradition als Gesetz? Ist das das neue Empowerment der XX-Chromosomen? Sie haben die Wahl. Wie bei Netflix?“

Männer eigneten sich nun mal besser für Krieg, so Alya, sie seien laut Statistiken gewalttätiger und krimineller – und Krieg sei immer kriminell. „Wie“, sagt Bela, „du meinst, männliches Fleisch ist systemrelevant, solange es noch kämpfen kann? Bei dir wird also im Zweifel mit Granaten das Gendersternchen gekillt. Bist du nun für Gleichstellung? Gleich! Stellung! Heißt! Gleich! Stellung!“

Das geht so noch eine Weile hin und her. Caro sagt mal einfach nichts zu dem Thema, sondern starrt nur ins Leere des Kaffeegeschirrklapperns. Aber ich werde später doch sehr nachdenklich, als ich im Bett nachlese, dass die Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht in Sicht sei, die erforderlich ist, um Art 12a unseres Grundgesetzes zu ändern. Dort steht (1), dass nur Männer „vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“ können, und dass Frauen (4) sich derweil um den „Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation“ kümmern sollen.

Das könne doch alles nicht wahr sein, meint Bela, wenn‘s brenzlig werde, rücke er aus, der Mann als letzter Depp eines Staates, der Gerechtigkeit vortäusche. Dass Gerechtigkeit sich an die Gemütlichkeit von Frauenrechten schmiege und den Kampf als Männerschicksal im Gesetz eingemeißelt lasse: „Das ist Gleichstellung 2.0: Frauen kriegen Freiheit, Männer den Spind.“ Nun ja.

Caro scheint die ganze Zeit gerechnet zu haben und sagt, während Elin mit Schreien beginnt: „CDU, SPD, Grüne und Linke kommen im aktuellen Bundestag auf fast 76 Prozent, das sind fast zehn Prozent mehr, als eine Verfassungsänderung braucht – wer von denen sollte da eigentlich nicht zustimmen?“

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mannheimer-morgen.de

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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