Seit vor einem halben Jahrhundert der Club of Rome unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ seinen einschlägigen Bericht vorstellte, ist die Sache unabweisbar: Wir können nicht so weitermachen, die Welt technisieren und ausbeuten und immerzu mehr verbrauchen, als sich regenerieren kann. Philosophische Kritik am technischen Weltverständnis gab es freilich schon früher, etwa von Martin Heidegger – oder auch literarische im Stil der Fantasy von John Ronald Reuel Tolkien.
Gleichwohl hat sich erst recht im Zeichen der Globalisierung nicht allzu viel an der Haltung zum Konsum, an Wachstums- und Technikgläubigkeit geändert. Nur dass nun zusätzlich auch die sogenannte zweite Welt ihren Teil vom Kuchen fordert. Und gemeinhin regiert der Glaube weiter, dass allein durch wirtschaftliches Wachstum gesellschaftlicher Fortschritt möglich sei. Die Corona-Pandemie schien eine Besinnungsphase einzuläuten: Ließe sich vielleicht mit weniger auch ganz gut leben? So fragten sich mit einem Mal mehr Zeitgenossen als zuvor schon. Und mit dem Krieg gegen die Ukraine ist die Frage nach dem Weniger erst recht hochaktuell: Kommen wir aus ohne russisches Gas, also mit insgesamt weniger von dem Energieträger? Zudem: Wie lassen sich soziale Verwerfungen als Folge von Mangel verhindern – und welche Perspektiven ergeben sich daraus?
Schlagzeilen vorformulieren
Stets geht es um die Frage, wie viel weniger zumutbar ist – und wo die Mittel herzuholen sind, damit der Staat einen sozialen Ausgleich finanziert. Bemüht wird meist eine grobe Mathematik: Wie halten wir die Zwei-Drittel-Gesellschaft im Lot, ohne dass das dritte Drittel weiter abrutscht? Obwohl man sich prinzipiell darüber einig ist, dass Wirtschaft und Gesellschaft klimafreundlicher werden müssen, formulieren Menschen mit Ministerrang in ihrer Kritik an Vorschlägen regelmäßig schon die ablehnenden Schlagzeilen vor, die folgen: „Frieren per Gesetz“ sei keine gute Idee.
Ohne Verzicht wird es aber nicht gehen. Indes wohl schon ohne, dass jener gleich zum Lebensprinzip erhoben wird. Um die Dinge im Lot zu halten, müssen schlicht die Ressourcen geschont werden, von denen wir alle, die zu allem Überfluss ja auch noch immer mehr werden, leben. Das geht, wenn es denn geht, nur durch ökologischen Umbau und eben auch persönlichen Verzicht.
Hilfreich wirkt dabei eine grundlegende Umorientierung. Die Welt ist nicht eine Gesamtheit von Objekten, die zur menschlichen Verfügung stehen. Sie ist vielmehr ein Beziehungsgefüge verschiedenster Akteure, die selbst agieren und reagieren und in Wechselbeziehungen stehen. Nur insofern hält sie sich im Gleichgewicht und kann als ein eigener übergeordneter Akteur begriffen werden. Eine Lebensführung, die dem viel beschworenen Begriff der Nachhaltigkeit gerecht werden möchte, kommt an dieser Voraussetzung nicht vorbei.
Dann erst gilt nicht mehr, was der in Ludwigshafen geborene Philosoph Ernst Bloch in seinem 1954 erschienenen Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ schrieb, dass nämlich „unsere Technik in der Natur (steht) wie eine Besatzungsarmee im Feindesland“. Wobei zu ergänzen bleibt, dass der naturwissenschaftlich-technische Zugriff auf die Welt nur in die Tat umsetzt, was im landläufigen Verständnis von ihr seine Voraussetzung hat. Eben deshalb gilt es, diese Voraussetzungen zu modifizieren. Der britische Naturwissenschaftler James Lovelack hat dazu schon in seinem 1979 erschienenen Buch „Das Gaia-Prinzip“ eine theoretische Begründung geliefert, die seine Kritiker freilich als Esoterik abtun.
Die These: Unser schöner blauer Planet ist selbst ein Lebewesen im Großen, wie es andere im Kleinen sind – diese sind quasi seine Mikroorganismen, die ihn in Ruhe oder Unruhe versetzen, je nach ihrem Zusammenspiel. Der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour bestätigt sich aktuell gerade deshalb als einer der meistdiskutierten Denker, weil er solche ökologische Denkprinzipien weiterführt.
Sich aus der Natur quasi asketisch herauszuhalten, ist nicht möglich. Alle Akteure der Welt bilden ein Netzwerk, von dem sie ein Teil sind und das sie mitprägen, wobei die Natur ihr gemeinsamer Lebensraum ist. Wird der menschliche Einfluss übergroß, was er unbestreitbar ist, gerät die Sache ins Wanken. Dass dann Zurückhaltung nicht schaden kann, liegt wohl auf der Hand.
„Schöpferisches Geschöpf“
Oft wird das jüdisch-christliche Weltbild in Mitverantwortung genommen für das objektivierende, auf Nutzbarmachung ausgerichtete Verständnis der Natur, vor allem das alttestamentarische Gebot, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Der Theologe Jürgen Moltmann, der bekannt wurde mit seinem auf Bloch aufbauenden Buch „Theologie der Hoffnung“, weist dagegen in einem Beitrag für die Zeitschrift „Zeitzeichen“ (Heft 6/2022) darauf hin, dass sich die Erde nach dem Alten Testament auch als „schöpferisches Geschöpf“ begreifen lasse. Nach Moltmanns Auffassung kann uns eine „kosmische Spiritualität“ den Sanftmut lehren, den es braucht, um mit und inmitten der Erde (gut) weiter zu existieren.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, weiß das Sprichwort. Doch bevor es um die letzten Dinge geht, lässt sich noch ein Aufbruch wagen. Vielleicht hilft gegen alle Trägheit die Einsicht in die Notwendigkeit. Verzicht kann einen Gewinn an Freiheit bedeuten, weil man sich unabhängiger macht. Vielleicht trägt dazu ja doch ein Grad weniger an Zimmertemperatur bei oder auch die eine oder andere kalte Dusche. Flugreisen nicht als selbstverständlich erachten und reduzieren, wenig Rindfleisch essen, mehr zu Fuß gehen, öfter Bahn fahren – ist das wirklich schon zu viel verlangt?
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