Kolumne #mahlzeit

Warum wir die Katar-WM in jedem Fall ignorieren sollten

Es sei die Gretchenfrage der Vorweihnachtszeit: Katar oder nicht Katar, ergo: WM-Gucken oder boykottieren? Ein Thema, das ganze Tischgespräche des Quartetts um Kolumnist Stefan M. Dettlinger beschäftigen kann

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Es sei ganz klar die große Gretchenfrage der bevorstehenden Weihnachtszeit: Wie hast du’s mit der WM?“, sage ich, wieder mal den ollen Goethe zitierend, und merke, wie ich in Wallung gerate. Die WM finde schließlich in einer Schurkenmonarchie statt. Bela schluckt noch schnell sein – ja, was war das eigentlich – Ding runter und sagt: „Was ist das Problem?“

Immerhin, dieser Moment zieht eine klare Linie: Ich weiß Alya und Caro sofort auf meiner Seite. „Hallo?“, fragt Alya, „hast du schon mal was von den vielen Toten auf den Stadionbaustellen gehört?“ Bela zuckt mit den Schultern und sagt: „Weißt du, wie viele arme Schweine beim Bau des Doms zu Worms krepiert sind? Nein? Trotzdem gehst du jedes Jahr zu den Nibelungenfestspielen am Dom!“ Das sei doch etwas Anderes, das sei doch nicht mehr zu ändern. Bela meint, die WM sei auch nicht mehr zu ändern. Dann Caro: „Na ja, man kann, nein: Man muss Katar einfach boykottieren. Nichts angucken. Nicht drüber reden. Schluss. Die Verbrecher, die Katar gewählt haben, sollen sehen: So geht’s nicht!“ Es sei ja nicht das einzige Thema, dass dort zwischen 37 (Info des WM-Komitees) und 6500 Leute („Guardian“) verreckt sind, sage ich, es gebe da ja noch die Bestechungsvorwürfe gegen FIFA-Fuzzis, die Menschenrechtslage, die Scharia, das autoritär-diktatorische System, zehn Prozent Scheichs, die sich von 90 Prozent mies behandelter Arbeitsmigranten bedienen ließen, die Unterstützung radikalislamischer Gruppen durch Staatsgelder (die erschreckenderweise quasi Privatgelder des Monarchen sind), und, Fußball in der Wüste, das Universalthema der Menschheitsgeschichte: die Zerstörung des vielleicht einzigen bewohnbaren Planeten in Gottes Universum. Ich gebe zu: Ich bin in Rage.

Sie sage das ja äußerst ungern, so Caro, aber diesmal könne sie nicht anders: „Ich gebe dir recht!“ (Nein: Ich habe mich sicher nicht verhört. Caro sagte das wirklich).

„Ist doch alles Kinderkram“, so Bela, „das Böse ist überall, sogar in uns selbst.“ Das sage halt ein idiotischer, ignoranter, ideenloser Porsche-Prolo, meint Alya und fügt – erneut aus des ollen Goethes „Faust“ – hinzu: „armer Tor!“

Ich für meinen Teil bin zumindest klüger als zuvor, denn ich habe mir jetzt fest vorgenommen, weder am Totensonntag das Eröffnungsspiel noch danach irgendein anderes der Spiele und schon gar nicht am 4. Advent das Finale anzusehen – es sei denn, die Fußballer laufen mit einem Adventskranz und vier Kerzen auf’m Kopf ein und Papst Franziskus steht für Argentinien im Tor. Nein, wirklich: Egal, wer spielt – ohne mich!

Nichts spricht für Katar. Außer dem schmutzigen, schmierigen und fossil verseuchten Geld. Folge der Spur des Geldes, heißt es ja, und du wirst Blut, Mord und Verbrechen finden. Okay, letzteres stammt eher aus der ARD-Serie „Das Netz – Spiel am Abgrund“ (Ehrenwort: Für das Product-Placement kriege ich kein Geld!).

Bela steht jetzt aber auf, wirft dabei seine Flasche um – und geht. Cola läuft auf Caros Rock. „Du bist ein Riesenarschloch“, ruft sie ihm hinterher. Doch Bela macht keinen Fallrückzieher. Er bleibt stur und in der Spur. Traurige Sache.

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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