Kolumne #mahlzeit

Was den Deutschen am allerwichtigsten ist

Kolumnist Stefan M. Dettlinger betrachtet diesmal Statistiken. Er findet, dass Statistiken wichtige Informationen über die Gesellschaft liefern. Anhand von Beispielen kommt er zum Schluss: Ihr müsst euch mehr bewegen

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Klar, ich schaue mir auch Statistiken an. Schlechten Gewissens schweben mir dann jene Zitate im Kopf rum, die versuchen, das Wesen der Statistik in den Dreck zu ziehen: Statistik ist die Hure der Wissenschaft! Statistiken sind verlorene Wahrheiten! Mit Statistiken kann man alles beweisen, nur nicht die Wahrheit. Und natürlich der Klassiker: Ich glaube nur Statistiken, die ich selbst gefälscht habe. Das Problem beim alten Churchill ist: Das in vielen Reden und von mir immer wieder benutzte Zitat ist in England unbekannt. Höchstwahrscheinlich hat es seine Wurzel sogar im deutschen Reichspropagandaministerium von Every-Body’s-Nazi-Darling Joseph Goebbels. 1940/41. In Anweisungen an die Presse und Tagebuchaufzeichnungen sind wohl mehr als zwei Dutzend Aussagen des Verbrechers dokumentiert, die das unterstreichen. Okay, das stammt von Statistikern des Statistischen Landesamt Baden-Württemberg. Aber Statistiker lügen selten. Statistisch gesehen.

Konzentrieren wir uns also auf die Fakten. Die Zahl ist das Wesen aller Dinge, hat Pythagoras gesagt, und immerhin August Bebel, der Sozialist, hielt die Statistik für „die wichtigste Hilfswissenschaft in der neuen Gesellschaft, sie liefert das Maß für alle gesellschaftliche Tätigkeit“. Gerade beim Konsum!

Ich kann dem nur voll zustimmen. Dank der Statistik habe ich wichtiges Herrschaftswissen über die Gesellschaft gesammelt. Ich weiß, dass der Deutschen Lebensnotwendigstes nicht das Auto oder die Sneaker oder das Deo oder das Bier ist. Nein: Es. Ist. Der. Kühlschrank (da steht ja auch das Bier drin). Zweite Überraschung: Die Dating-Services sind auf der Überholspur. Also wenn sich die Brauer nicht bald was einfallen lassen, haben Deutsche bald lieber Sex mit dem (künftigen) Ex, als Ex-und-hopp den Humpen zu leeren. Noch aber ist Bier (17 %) vor dem One-Way-Ticket zum Orgasmus (13 %). Bei Bier gilt halt auch noch das Reinheitsgebot von 1516.

Auf Platz zwei der Statistik rangiert das Smartphone. Wen wundert’s! Mit ihm wird ja auch der Kühlschrank gesteuert, der das Bier kühlt für den (künftigen) Ex, den man sich per Smartphone für die heiße Sofanummer einbestellt hat. Und da es beim Sex ja auch um Gerüche geht, folgt in der Statistik der Dinge, auf die der oder die Deutsche nicht verzichten kann, das Deo (36 % – noch können Gerüche eben nicht mit dem Smartphone gesteuert werden).

Humboldt hatte Recht: Alles hängt mit allem zusammen. Dass die Deutschen, wie wiederum andere Statistiken besagen, die fast auf den Rest der Acht-Milliarden-Welt ebenso zutreffen, dass die Deutschen also immer mehr Rücken- und Kopfschmerzen haben, liegt daran, dass sie viel zu viel und trotzdem immer mehr Zeit an Bildschirmen verbringen.

So mache ich mir nun ernsthafte Sorgen um meine lieben Lesenden. Falls Sie diese Kolumne also gerade digital lesen, empfehle ich Ihnen danach einen Spaziergang mit Schulterkreisen (wenn keiner guckt). Da können Sie auch darüber nachdenken, ob sie zu den 49 Prozent gehören, die ihren Besuch bei Robinson und Freitag niemals ohne Kühlschrank abstatten würden. U. A. w. g.

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mannheimer-morgen.de 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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