Das Unfassbare ist geschehen. Na ja, so unfassbar ist es auch wieder nicht, sieht man der Tatsache ins Auge, dass Alya eine junge erwachsene Frau ist und seit Monaten einen festen Freund hat (dessen Namen ich mir leider immer noch nicht merken konnte). Was ich aber sagen wollte: Sie. Ist. Schwanger. Verdammt: Sie bekommt ein Baby und sagt: „Ich muss mein Leben ändern.“ Das ist toll. Ich meine: beides! Und ehrlich gesagt habe ich Alya seit der Sache mit dem Typen, der sie auf dem Radweg mit dem Auto angefahren hat, nicht so kämpferisch erlebt.
Sie wolle ihrem Kind „nicht so eine Scheißwelt“ hinterlassen mit zerstörter Natur, Klimakatastrophe, mit hässlichen Städten, modernen Wüsten wie Mannheim oder Ludwigshafen, mit Krieg und vor allem: Schulden, Schulden, Schulden. Und schon spricht Alya von den vielen Bomben und Raketen für die Ukraine.
Und vom Nationaltheater. Sie habe in der Presse gelesen, dass das Stadttheater für seine Drittelmilliardensanierung in den kommenden Jahren 193 Millionen Euro Schulden machen müsse. „Das ist Geld, das mein Kind dann irgendwann zurückzahlen muss – mit Zins und Zinseszins“, so Alya. Sie frage sich, ob es gut sei, ständig etwas auszugeben, das man gar nicht habe, und Ressourcen zu verbrauchen, die dann einfach weg seien, „ratzeputz weg!“
Ich prophezeie allen meinen Kumpels, dass sich, wenn sie Kinder kriegen, eine neue Dimension im Leben öffnet. Es ist wie der Punkt, der entdeckt, dass er nur Teil einer Linie ist, oder die Linie, die entdeckt, dass sie nur Teil eines Babylonischen Turms ist.
Klar, jeder macht mal Schulden. Aber ich persönlich will die Schulden vor meinem Ableben bezahlt haben, damit nicht meine Kinder daran knabbern müssen. Ich finde, öffentliche Haushalte sollten genau so agieren. Der eine Bürgermeister gibt die Schulden an den nächsten weiter und damit an die nächste Generation der Bürgerinnen und Bürger, ein Intendant vermacht dem nächsten die -193 000 000 Euro. Tolle Info am ersten Arbeitstag.
„Hinzu kommt“, sagt Alya, „dass das viele Geld für ein Riesenraumschiff draufgeht, in das in zehn oder zwanzig Jahren vielleicht noch die Hälfte der Leute von heute gehen wird, das wissen wir doch schon jetzt.“ Ich werfe ein, dass das doch niemand wissen könne, dass Theater sich veränderten und neue Gruppen als Publikum hinzugewännen und so weiter. Vielleicht hat Alya aber auch visionäre Fähigkeiten und könnte sich einen Nebenerwerb als rufende Kassandra sichern?
„Treib ab!“, sagt Caro jetzt. Alya ist schockiert und haucht ein entsetztes „Was?“ Caro meint, Alya habe nur zwei Möglichkeiten, um mit sich, ihrem Fötus und der Welt ins Reine zu kommen: entweder akzeptieren, dass der Mensch per se schlecht sei und gern auf Pump lebe, oder eben genau diesen Umstand einem weiteren Leben ersparen. „Dein Balg verschlimmert die Sache doch eh nur“, sagt Caro. Ich rufe: „Caro!“ Caro fragt: „Was denn?“ Sie sei vollkommen krank, sage ich. Caro: „Du hörst von meinem Anwalt!“ Lieber Gott, mach, dass Frieden ist …
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