Es beginnt, passender für einen Abschiedsfilm ginge es kaum, buchstäblich „bitter-süß“. Die Kamera fliegt über den von Leuchtreklame glamourös schimmernden Picaddilly direkt in eines der vielen Theater im Londoner Westend. Gespielt wird Noël Cowards Operette „Bitter-Sweet“, wir schreiben das Jahr 1930 und im roten Samt des Zuschauerraums treffen wir auf alte Bekannte. Hübsch nach Stand getrennt. Die gräflichen Crawleys applaudieren standesgemäß in der Loge, auf den billigen Plätzen im zweiten Rang freut sich das Personal über die Abendunterhaltung mit leichter Muse, deren Schöpfer später auch in die Filmhandlung eingreift.
Neuer „Downton Abbey“-Film: Eine Hommage an Dame Maggie
Die Familie und ihr Personal lieferten von 2010 bis 2015 über sechs Staffeln in 52 einstündigen Episoden, fünf 90-minütigen Weihnachtsspecials und danach in zwei zweistündigen Kinofilmen Glanz und Elend des gehobenen englischen Standes zwischen 1912 und 1929. Illustres Zentrum war unbestritten Maggie Smith, deren prominente steife Oberlippe das Publikum begeisterte. Julian Fellowes landete einen veritablen Coup, nun folgt mit dem dritten Sequel der endgültig letzte Streich.
Adelsexperte Julian Fellowes
Julian Baron Fellowes of West Stafford wurde 1949 in Kairo als fünfter und jüngster Sohn eines Diplomatenpaares geboren, besuchte das Ampleforth College, studierte Englische Literatur in Cambridge und Schauspiel an der Webber Douglas Academy of Dramatic Art.
Julian Fellowes arbeitete als Schauspieler , trat in Kino- und TV-Produktionen, etwa „James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie“ , „Jane Eyre“ oder „Monarch of the Glen“, auf. Dann wandte er sich dem Schreiben zu.
Mit dem Romandebüt „Snobs“ landete er 2004 in Großbritannien auf Anhieb einen Bestseller. Es folgte 2008 „Past Imperfect“ („Eine Klasse für sich“) und 2016 „Belgravia“.
International Erfolg hatte er 2001 mit dem Drehbuch zu Robert Altmans „Gosford Park“, für das er einen Oscar bekam. Seitdem er die Hitserie „Downton Abbey“ um die Adelsfamilie Crawley konzipierte, ist Fellowes im Fernseh- und Filmgeschäft ein gefragter Mann. rcl
Drehte sich beim ersten Film 2019 am schönen Drehort Highclere Castle noch alles um einen königlichen Besuch und die Rettung der Monarchie, standen im Nachfolger „Downton Abbey II – eine neue Ära“ (2022) die Zeichen bereits auf Zukunft. Drehbuchkünstler Julian Fellowes hatte die losen Enden der Stränge und Figuren munter zusammengeknüpft - sich würdig von Maggie Smith und der Ära der alten Dowager verabschiedet, jeder Figur eine moderne Perspektive in der Arbeitswelt und jedem Topf einen Deckel gegeben.
Regisseur Simon Curtis setzte das Spiel um Schauspieler, die Schauspieler und Statisten spielen, sowie Filme, die Schlösser retten, prall in Szene und fand zu einem schönen Abschluss. Noch mehr hätte es nicht gebraucht. Doch dann starb Dame Maggie und man entschied sich für einen weiteren Film als kollegiale Hommage – und dazu, den Cast weiter in die Moderne zu führen.
Amerikanische Millionen, englische Schlösser bei „Downton Abbey“
Wem sollte das schwerer fallen als Mr. Carson (Jim Carter), seines Zeichens (Ex-)Butler und immerwährender Nothelfer derer zu Grantham. Er grantelt seinem Nachfolger Mr. Parker (Michael Fox) mindestens so argwöhnisch ins Handwerk wie Seine Lordschaft (Hugh Bonneville) ihrer Tochter Mary (Michelle Dockery), der es nun obliegt, die wirtschaftlichen Dinge des Anwesens zu regeln.
Und die sind kompliziert, denn in Folge des Schwarzen Freitags 1929 ist auch Coras leichtlebiger Bruder, der amerikanische Millionenerbe Harold Levinson (Paul Giamatti), pleite und sind Rettungen aus Übersee somit nicht mehr in Sicht. Man muss sich verkleinern. Es geht um Verluste, Veränderungen, Abschiede und Neuanfänge.
Wer in die vor Schreck geweiteten Augen Hugh Bonnevilles während einer Wohnungsbesichtigung in einem Mehrfamilienhaus blickt, kann ahnen, wie folgenschwer moderne Zeiten für einen Aristokraten alter (Privat-)Schule sind: „Leben? In einer Schichttorte voller fremder Leute?“ Seine Augen sind mindestens so weit aufgerissen wie weiland die seiner Mutter Lady Violet, als sie in der ersten Staffel indigniert fragte: „What is a weekend?“ Downton-Fans dürfen sich also wieder auf zitierfähige Bonmots und ausgefeilte Dialoge in „top-notch“-Qualität freuen.
Neue Regeln und alte Snobs im dritten „Downton Abbey“-Film
Wie immer ist Roberts Frau Cora (Elizabeth McGovern) moderner orientiert und macht bereits Witze über „Snobs“. Der Mann hat es wahrlich nicht leicht; Mary auch nicht. Ihre Ehe mit dem abenteuerlustigen Rennfahrer Talbot ist gescheitert – und eine Scheidung 1930 kein Spaß, sondern ein Makel, der mit massiver gesellschaftlicher Ächtung einhergeht. Die Londoner Ball-Saison ist in vollem Gange – und Mary muss draußen bleiben. Schade um die einmal mehr sagenhaft geschmackvollen Roben von Anna Robbins.
Mit der beweglichen Kamera von Ben Smithard gleiten wir ein wenig zu rosig mit den Serienhelden, die uns durch den Ersten Weltkrieg führten, durch Ballsäle, Pferderennen, Theaterfoyers oder Kunstausstellungen in eine Zeit voller Zuversicht, an deren Rändern sich noch nichts von dräuenden Kriegsgefahren abzeichnet.
Die Welt ändert sich; auch die Einstellung zur Kunst. Durfte Operndiva Nellie Melba einst in Downton noch nicht bei Tisch mit dem Adel speisen, erlaubte Mary dort später einen Filmdreh. Nun wird das Show-Business um Noël Coward (Arty Froushan) und Guy Dexter (Dominic West) gar zum Society-Magneten für Downton. Der neue Adel ist die Filmprominenz. Es gibt kein Personal mehr. Schlösser zu unterhalten, ist teuer. Willkommen in der Realität.
Auch diesmal – und dies war immer die besondere Qualität der Serie – kann man in den elegant schimmernden Wärme-Würde-und-Humor-Kosmos Downtons eintauchen und die Welt um sich herum vergessen. So geschmackvoll kann gutes Kino sein. Für Menschen, die Vorgängerfilme und Serie nicht kennen, taugen die 124 Filmminuten allerdings nicht: Die emotionalen, auch ein wenig zu kitschigen Rückblenden auf Lady Sybil, Matthew und vor allem Lady Violet erschließen sich dem Erstkontakt nicht.
Für Fans schön anzuschauen, unterhaltsam und rührend ist all das fraglos auch ein weiteres, letztes Mal. Schön war's – aber es ist jetzt auch wirklich gut. Sagen wir es mit der Gräfinwitwe (Dame Maggie) letzten Worte: „Shut up now! I can‘t hear myself die.“
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