Kommentar

Amtsgericht in Schwetzingen: Einer blieb liegen

Noah Eschwey hat sich völlig überflüssig unter morgendlichen Stress gesetzt: Die Verhandlung fiel mangels Angeklagten aus.

Von 
Noah Eschwey
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Schwetzingen. Keine Ahnung warum, aber gerade am Montagmorgen scheint die Ampelphase am Abzweig zur GRN-Klinik in Schwetzingen besonders kurz. Und wenn ich eines nicht brauchen kann, ist es Stress am frühen Morgen. Und mich so zu organisieren, dass ich nicht in Stress gerate, kann ich auch nicht. Aber ich habe es versucht: Ich stellte meinen Wecker am Vorabend auf eine unchristliche Uhrzeit und schnappte am Morgen meinen Hund „Willy“ eine halbe Stunde früher als sonst. Da war ich wohl nicht der einzige: Sechs Zeugen, ein Staatsanwalt, ein Richter, eine Protokollführerin, drei junge Menschen, die wie Schülerpraktikanten wirkten, und ich fanden uns im Sitzungssaal wieder. Alle waren wir pünktlich - und das, obwohl die Verhandlung am Montagmorgen auf 9 Uhr terminiert war.

Punkt 9 saßen wir also im ersten Obergeschoss des historischen Gebäudes, in dem gleich eine spannende Diebstahlserie verhandelt werden sollte. Einerseits freute ich mich darauf, andererseits war ich genervt, weil meine geliebte Zigarette wegen des Zeitdrucks ungeraucht auf dem Beifahrersitz meines Wagens verblieb. Geschniegelt, gebügelt, bereit für die Wahrheit – oder zumindest für deren gerichtsfeste Version – saßen wir da. Nur einer fehlte: der Angeklagte.

Er, der Anlass für diesen kollektiven Frühsport, blieb einfach liegen. Kein Stau, kein Parkplatzproblem, kein „Sorry, der Wecker hat nicht geklingelt“ – einfach: nicht da. Während der Richter auf die Uhr blickte und der Staatsanwalt bedeutungsvoll seufzte, dachte ich mir: Wenn alle Angeklagten so entspannt wären, bräuchte es keinen Strafvollzug, nur mehr Betten.

Nach zehn Minuten Stille, drei hoffnungsvollen Versuchen, den Angeklagten vielleicht in einem anderen Raum zu finden und einem resignierten Nicken war klar: Heute gibt’s keine Wahrheit, nur Wartezeit. Die Zeugen, die ihre Vormittage geopfert hatten, wurden in den Sitzungssaal gebeten und ohne Aussage entlassen.

Mir kostete dieser Morgen Nerven. Wer weiß, was ein Richter verdient, der kann sich ausrechnen, was der säumige Angeklagte den Staat kostete. Und am wichtigsten: Er kostete Lebenszeit von knapp einem Dutzend Menschen, die nie wieder zurückkommt. Daher möchte ich diese Zeilen nutzen, um Straftäter aus dem Einzugsgebiet dieser Zeitung zu bitten: Steht doch bitte zu euren Taten und kommt wenigstens zur Verhandlung. Und bitte pünktlich - Zeit ist Geld.

Volontariat Noah Eschwey ist Volontär in der Lokalredaktion der Schwetzinger Zeitung/Hockenheimer Tageszeitung.

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