Bald unwählbar?

Birgit Holzer ist der Meinung, dass Marine Le Pen die Unabhängigkeit der Justiz nicht infrage stellen darf

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Birgit Holzer
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Es handelte sich nur um die Forderungen der Staatsanwaltschaft, während das Gerichtsurteil noch aussteht – doch allein das Plädoyer wirkte wie eine Art politisches Vorbeben in Frankreich. Im Prozess gegen Marine Le Pen, mehrere ihrer Parteifreunde und ihren rechtsextremen Rassemblement National (RN) verlangte die Anklage unter anderem den sofortigen Entzug des passiven Wahlrechts für fünf Jahre. Die RN-Frontfrau und dreimalige Präsidentschaftskandidatin könnte in dem Fall bei den nächsten Wahlen nicht antreten. Sie selbst sieht sich als Opfer in einem politischen Prozess, der sie vom Sieg abhalten soll. Dabei prägte ausgerechnet sie einst das Schlagwort „alle verdorben“ in Anspielung auf die politischen Skandale ihrer Gegner, während sie selbst untadelig sei. Der aktuelle Prozess ist nicht der erste, der dieser Darstellungsweise widerspricht, aber die Anschuldigungen wiegen besonders schwer. Die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe für Le Pen liegt unter dem Höchstmaß; überraschend ist lediglich, dass ihr durch die „sofortige Wirksamkeit“ die Chance genommen werden soll, über einen Berufungsprozess Zeit zu gewinnen.

Es ist richtig, dass auf die Verurteilung von Politikern der automatische Entzug des passiven Wahlrechts folgt. Denn wer sich für ein politisches Amt bewirbt, steht besonders in der Verantwortung, vorbildlich zu handeln. Le Pens Klage, es handle sich um ein Komplott, ist gefährlich, weil sie das Vertrauen in eine unabhängige Justiz aushöhlt. Eine solche gehört zu den wesentlichen Säulen einer Demokratie. Auch wenn zuletzt elf Millionen Wähler für Le Pens Partei stimmten, muss sie behandelt werden, wie es das Gesetz vorschreibt. Alles andere wäre ein Skandal.

Korrespondent