Kommentar Deutschlands Politik kann von Arderns Rücktritt lernen

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern legt ihr Amt nieder - ihr Schritt verdient aus mehreren Gründen Bewunderung, meint Diana Zinkler

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Diana Zinkler
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Eine große Aufgabe des Lebens ist es, dass wir lernen müssen, Abschied zu nehmen. Denn Abschiede gehören nun mal zum Leben dazu, genauso wie sich weiterzuentwickeln. Diesen Sinnspruch zum Abschied eines Kollegen oder einer Kollegin hört man gern mal auf Ausstandsfeiern. Es klingt so einfach, aber den rechten Moment zu finden, all den Mut zusammenzunehmen, um zu sagen: Ich gehe - das ist schwer. Noch schwieriger muss es für eine Person an der Spitze eines Konzerns, der Kirche oder gar eines Landes sein. Dann, wenn man besonders viel Verantwortung trägt und alle Arbeitsabläufe, vielleicht sogar die Identität des Unternehmens, besonders von der Person an oberster Stelle geprägt sind.

Gerade führt Jacinda Ardern der ganzen Welt vor, wie man diesen persönlichen und sozialen Drahtseilakt elegant und für alle nachvollziehbar vollführt.

Die Regierungschefin von Neuseeland ist vielleicht aus deutscher Perspektive nicht so bedeutend wie der hiesige Kanzler oder gar von Weltrang wie der US-Präsident. Doch wünscht man sich nicht oft insgeheim, auch deutsche Bundeskanzler und Kanzlerinnen hätten in der Vergangenheit erkannt, wann es Zeit ist zu gehen? Hätten es wirklich 16 Jahre Helmut Kohl und 16 Jahre Angela Merkel sein müssen? Gefühlt zumindest nicht immer, ob es politisch notwendig war - darüber lässt sich ebenfalls streiten.

Auch US-Präsident Joe Biden musste sich in letzter Zeit kritische Artikel und die Frage gefallen lassen, ob er wirklich noch fit genug für eine zweite Amtszeit sei. Auch in diesem Fall werden wir bald sehen, wie sehr Biden an der Macht klebt. Die nächste US-Präsidentschaftswahl findet Ende 2024 statt. Bei Antritt einer zweiten Amtszeit wäre Biden 82 Jahre alt.

Jacinda Ardern ist erst 42. Eine Frau in der Mitte, im besten Alter, wie man sagt - und doch steigt sie jetzt aus. Hält das Karussell der Karriere an, klebt nicht an der Macht und an ihrem Regierungsstuhl. Man kann sie für diesen Schritt nur bewundern. Vor allem für ihr Selbstbewusstsein, und zwar im wörtlichen Sinn.

Sie hat in sich hineingehört und reagiert, bevor ihr große Fehler passieren, bevor sie ihr Amt vernachlässigt - ihr Tank ist leer. Sie hat den Zeitpunkt für ihren Abschied verantwortungsvoll gewählt: Sie führte ihr Land erfolgreich mit einer rigorosen Abschottungspolitik durch die Pandemie; erst vor vier Monaten öffnete sich Neuseeland vollständig. Die Krise wird sie Kraft gekostet haben. Zur Wahrheit gehört auch, dass sie laut Prognosen nicht wiedergewählt worden wäre. Dem Erfolgshunger, es vielleicht noch einmal zu schaffen, es den anderen noch einmal zu beweisen, hat sie nicht nachgegeben und innere Unabhängigkeit bewiesen.

Jacinda Ardern hat neue Maßstäbe gesetzt. 2017 war sie mit 37 Jahren zur Regierungschefin gewählt worden - sie war damals die jüngste Frau an der Spitze einer Regierung weltweit. Auch war sie erst die zweite Regierungschefin, die während ihrer Amtszeit ein Kind zur Welt brachte. Sechs Wochen nach der Geburt nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Und zeigte damit den Frauen weltweit: Es geht. Um die Tochter kümmerte sich vor allem ihr Partner. Auch hiervon ging ein Signal aus, es lautete: So sieht eine gleichberechtigte Partnerschaft aus!

Jacinda Ardern überrumpelte so manchen mit ihrem persönlichen Vorbild und ihrer Politik. Und genauso verabschiedet sie sich - mit einem Abschied, bei dem ihr applaudiert wird. Es war wohl wieder der richtige Zeitpunkt.

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