Kommentar Games einfach mal mitspielen statt verbieten

Die Hits auf der Spielemesse Gamescom können für Familien-Zoff sorgen. Dabei müssten Verbote für Kinder und Jugendliche nicht sein, meint Birgitta Stauber

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Birgitta Stauber
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Da sitzt der Teenager in seinem Zimmer, glotzt auf seinen PC, Stunde um Stunde, und spielt Fifa, virtuellen Fußball, eine Simulation auf einem extrem hohen Niveau. Mit dabei sind viele andere, die auch in ihren Zimmern hocken. Für Eltern ist das oft nur schwer erträglich, und je ausgeprägter gespielt wird, desto schneller steigt die Eskalationsspirale. Stufe eins: Geh‘ doch mal raus, rufen sie dem 16-Jährigen zu. „Spiel richtig, auf den Bolzplatz, an der frischen Luft“.

Dass der 16-Jährige dann sagt „Okay, gute Idee, mache ich“, ist wohl eher ein Wunschtraum. Wahrscheinlich kommt es eher zu Eskalationsstufe zwei: Die Eltern ziehen den Stecker am WLAN-Router. Damit steigt zwar nicht die Laune, aber womöglich die Wahrscheinlichkeit, dass der Junge wenigstens zum Essen kommt.

Eskalationsstufe drei: Der Vater oder die Mutter schnappen sich den PC und den Router und nehmen beides mit ins Büro. Vorteil: Wahrscheinlich wird nicht gespielt, oder wenigstens nicht zu Hause. Nachteil: Das kann toxische Stimmung hervorrufen. Wenn es schlimm kommt, schlägt der Teenager zurück: Und versteckt die Smartphones der Eltern. Aus Rache. Tagelang sind sie nicht erreichbar. Das wäre dann Eskalationsstufe vier.

Wahrscheinlich haben Eltern und Teenager derartiges erlebt oder können es sich zumindest vorstellen – und zwar über Generationen hinweg. Der Streit um den elektronischen Medienkonsum, die Frage, wie viel Bildschirmzeit schädlich ist, wann Sucht einsetzt und wie die Spiele die Persönlichkeit verändern, ist schließlich so alt wie die elektronischen Spiele selbst. Welcher Boomer konnte sich schon in den 1980er-Jahren der Faszination von Pac-Man, der fressenden gelben Kugel, entziehen? Oder den geometrischen Tetris-Figuren? Schon damals gab es Ballerspiele. Schon damals konnte dieses „Noch ein Spiel, noch einmal gewinnen“ das schale Katergefühl der durchgezockten Nacht hinterlassen.

Und schon damals haben Eltern und damit Menschen über die Spiele geurteilt, die selbst gar keine Ahnung davon hatten. Das ist bei der ganzen Debatte wohl das größte Übel. Ob Fifa süchtig macht, dumm, krank oder gar aggressiv – oder auf der anderen Seite Kreativität und Geschicklichkeit fördert; ob Rollenspiele gefährlich sind und Ego-Shooter zum Nachahmen im echten Leben anregen: All dies wird heftig diskutiert und recherchiert, zumindest haben all diese Fragen bei Google ein ausgeprägtes Suchinteresse.

Noch besser wäre es, zu verstehen, was die Kinder so fasziniert. Das heißt: Statt den Stecker zu ziehen, sollten sich Väter und Mütter einfach mal das Spiel erklären lassen. Bei Fifa zuschauen und mitspielen – selbst wenn böse gefoult wird. Sich die Rolle erklären lassen, in die ein Kind so gerne schlüpft – auch wenn geballert wird. Die Welt von Minecraft erkunden und weiterbauen. Bei GTA (Grand Theft Auto) zum Gangster werden und bei dem als gewalttätig verschrienen Spiel Fortnite auch mal beim Kampf gegen den Tod mithelfen – auch wenn dann über Bezahlinhalte diskutiert werden muss.

Idealerweise findet die Familie einen Kompromiss: Erst spielen wir Fortnite, dann gehen wir raus. Oder: Heute spielst du virtuell mit deinen Kumpeln, dann trefft ihr euch aber auch wirklich. Gerne bei uns. Essen gibt’s dann für alle. Klingt zu schön, um wahr zu sein. Der Familie, bei der es zum oben beschriebenen heftigen Krach kam, ist es immerhin gelungen. Zumindest spielt der Junge wieder Fußball – ganz in echt.

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