Kommentar Gefahr für Mullahs

Madeleine Janssen findet, der Friedensnobelpreis für Narges Mohammadi ist ein wichtiges Signal für den Kampf der Frauen im Iran

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Sie ist 51 Jahre alt. Seit ihrem 25. Lebensjahr steht Narges Mohammadi mit dem Regime im Iran in Konflikt. Ihr halbes Leben verbringt Mohammadi also bereits damit, gegen die selbst ernannten iranischen Sittenwächter aufzubegehren. Sie steht in der Tradition der Iranerin Shirin Ebadi, die 2003 als erste muslimische Frau mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde und heute im Exil in Großbritannien lebt. Mohammadi hatte sich 2003 dem von Ebadi gegründeten Defenders of Human Rights Center angeschlossen. Nun ist sie selbst mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Das ist ein wichtiges Zeichen des Komitees in Oslo. Der Kampf der Frauen im Iran darf – bei allen Krisen dieser Welt – nicht vergessen werden.

Denn letztlich steht er für ein tieferliegendes Problem, das uns weltweit immer wieder begegnet: Männer wollen Macht über Frauen ausüben. Sie sprechen ihnen die Freiheit ab, selbst über ihren Lebensweg, ihr Äußeres und ihre Familienplanung zu bestimmen, oftmals unter dem Deckmantel religiöser Vorschriften. In vielen Gesellschaften mit rechtskonservativem Drall werden Frauen schlechter gestellt, ihnen wird auch im Jahr 2023 noch die Rolle der Hausfrau und Mutter zugewiesen, teilweise, wie in Afghanistan, werden sie Schritt für Schritt aus dem öffentlichen Leben getilgt. Wenn es nach den dortigen Machthabern geht, sollen die Frauen unsichtbar werden.

Das darf nicht passieren. Wie Außenministerin Baerbock zu Recht nach der Nobelpreis-Verkündung schrieb: „Die Zukunft des Irans sind seine Frauen.“ Mohammadi und ihre Mitstreiterinnen verdienen den Respekt und die Unterstützung freier Gesellschaften – die bei der vollständigen Überwindung des Patriarchats auch noch die eine oder andere Hausaufgabe haben.

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dpa
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Narges Mohammadi und Shirin Ebadi sind mutige Frauen, die Artikel über die Ungerechtigkeiten schreiben, die sich laut zur Wehr setzen und die letztlich sogar bereit sind, für ihre und die Freiheit anderer Frauen ins Gefängnis zu gehen. Mohammadi verbüßt derzeit eine Haftstrafe im gefürchteten Ewin-Gefängnis in Teheran. Von 2015 bis 2020 war sie schon einmal inhaftiert. Später berichtete sie von sexuellem Missbrauch und Misshandlungen von Insassinnen der iranischen Gefängnisse. Sie tritt immer wieder gegen die Todesstrafe ein und steht im Austausch mit internationalen Medien und Politikern. Kurzum: Mohammadi ist das Feindbild schlechthin für die Ajatollahs. Kein Wunder, denn ihre Enthüllungen bringen eines ans Licht: Die Möchtegernsittenwächter nehmen es mit „Sitten“ und „Moral“ selbst nicht so genau. Es geht ihnen einzig um Machterhalt. Wenn sie glauben, dass sie damit eine stabile Gesellschaft schaffen, täuschen sie sich. Man sieht es allein an den immer wieder aufflammenden Protesten im Iran. An kleinen Gesten in Videos auf Social Media, wenn Mädchen mit wehenden Haaren tanzen. Der Keim des Widerstands bleibt.

Dass die Mullahs aktuell verschärfte Hijab- und Keuschheitsregeln, eine strengere Geschlechtertrennung und drakonischere Strafen im Parlament durchboxen wollen, zeigt nur: Ihre Akzeptanz in der Gesellschaft bröckelt weiter. Wer sich sicher fühlt, kann andere am Dialog beteiligen und auf Augenhöhe sprechen. Wer Angst hat, muss unterdrücken.

Es erscheint unwahrscheinlich, dass Mohammadi bald aus der Haft freikommt. Mit der Zuerkennung des Nobelpreises dürfte sie für die Frauen im Iran erst recht eine Ikone geworden sein – und damit eine Gefahr für die Mullahs.