Es gab Zeiten, da konnte das Magazin „Stern“ die Nation bewegen. Mit Titelgeschichten wie „Wir haben abgetrieben“ Anfang der 1970er-Jahre – aber auch mit dem hausgemachten Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher. In der Branche wurde das Blatt auch Musikdampfer genannt, denn in aller Regel war ordentlich was los. Zuletzt dümpelte der „Stern“ allerdings weit entfernt vom alten Glanz vor sich hin und teilte das Schicksal der allermeisten gedruckten Medien: Die Auflagen fallen, mal versickern sie, mal rauschen sie nach unten.
Künftig ist der „Stern“ unter dem Dach von RTL angesiedelt, zusammen mit nicht weniger starken Magazin-Marken wie „Geo“, „Brigitte“ oder „Schöner Wohnen“. Der private TV-Sender ist das Reich des Boulevards, der täglichen Seifenopern und Kuppelshows sowie ihrer entsprechend schrillen Protagonisten. Aus Sicht des Medienkonzerns Bertelsmann macht es dennoch Sinn, sein Zeitschriftengeschäft mit dem privaten TV-Geschäft zusammenzuspannen.
In erster Linie bietet RTL den Magazininhalten zusätzliche digitale Verbreitungsmöglichkeiten. So ließen sich beispielsweise opulente „Geo“-Reportagen nicht nur auf Hochglanzpapier drucken, sondern in der RTL-Mediathek als Filmbeitrag per Streaming abrufen – ein wirtschaftlich stimmiger Gedanke.
Im Gegenzug werden die starken Magazin-Marken positiv auf das RTL-Image abstrahlen. An diesem arbeitet Bertelsmann gerade verstärkt. Journalistische Kompetenz statt Krawall – so lautet die strategische Devise, das machen auch zentrale Personalien deutlich: Bei „Deutschland sucht den Superstar“ war das Kandidaten-Bashing von Dieter Bohlen nicht länger erwünscht. Die frühere ARD-Moderatorin Pinar Atalay sowie Ex-„Tagesschau“-Sprecher Jan Hofer werden indessen mit einer späten Nachrichtensendung als direkte Konkurrenz zu „Tagesthemen“ und „heute journal“ aufgebaut.
Ob die Bertelsmann-Pläne aufgehen, wird sich nicht zuletzt bei der Personalausstattung der Redaktionen entscheiden. Wie bei jedem Zusammenschluss dürften auch jetzt die Synergien locken. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass bei RTL und den Gruner + Jahr-Titeln künftig weniger Personal die gleiche – oder noch mehr – Arbeit erledigt. Ob dann gedruckt oder digital Geschichten herauskommen, die die Nation bewegen, ist die Frage.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Kompetenz statt Krawall: Magazin-Verkauf an den Sender RTL