Das traditionelle Neujahrskonzert, das am Sonntagabend neben viel Prominenz vor allem die Bürger in so großen Scharen in die Stadthalle trieb, dass diese bis auf den letzten Platz besetzt war, setzte einmal mehr nicht nur einen musikalischen Glanzpunkt zum Jahresbeginn, der auf ein weiteres großartiges Kulturjahr hoffen lässt. Mit dem sechsten gemeinsamen Auftritt haben der AGV Belcanto und der Orchesterverein Stadtkapelle, die im Fünfjahresrhythmus den kulturellen Auftakt gestalten, 25 Jahre Hockenheimer Musikgeschichte greifbar gemacht, die auch eine gedankliche Zäsur erfordert.
1997 hatte die Rennstadt sich erstmals von „eingekauften“ Ensembles abgewandt und das Neujahrskonzert mit hiesigen Vereinen gestaltet. Als 2000 AGV Belcanto und Stadtkapelle erstmals gemeinsam den musikalischen Jahresauftakt setzten, war beim Chor Christian Palmer dabei, Bewegung in den Laden zu bringen – musikliterarisch wie in Bezug auf die Performance.
Bei der Stadtkapelle gab Rüdiger Müller mit dem Neujahrskonzert 2000 seinen Abschied als Dirigent – nachdem er in den fünf Jahren zuvor aus einem Musikverein erste Ansätze eines Symphonischen Blasorchesters geformt hatte, unter größten Schmerzen und unter Hinnahme des Verlusts zahlreicher Instrumentalisten. Wer die Zeit hautnah miterlebt hat, konnte nun am Ende eines fulminanten Konzerts feststellen, dass es sich gelohnt hat.
Und voll Dankbarkeit und auch etwas Ehrfurcht beispielsweise Bernhard Fuchs in der Stadthalle begegnen: Der hatte mit seiner mutigen Entscheidung für Rüdiger Müller in den 1990er Jahren als Vorsitzender der Stadtkapelle den Weg dafür bereitet, dass Hockenheim heute das beste Blasorchester landauf, landab hat – und mit Dominik M. Koch einen der anerkanntesten und zukunftsträchtigsten Dirigenten des Genres.
Den nächsten Schritt müssen Künstler und Publikum gemeinsam gehen: Die Zuhörer müssen lernen, dass man bei launigen Chorstücken durchaus mitklatschen kann, ein wundervolles Werk wie Philip Kerns Satz „ScarboroghFair/Sound of Silence“ damit aber überrollt und in seiner Wirkweise gar nicht richtig genießen kann. Und dass man – bei aller Begeisterung für die atemberaubende Musik – eine Symphonie am Stück hört und den Applaus zumindest in der Regel für den Schluss aufspart. Der Komponist hat die Symphonie meist eben gerade nicht in Einzelstücken gedacht, sondern als Gesamtwerk, bei dem die Emotionen über Satzgrenzen hinweg transportiert oder kontrastiert werden, um die volle Wirkmacht zu entfalten.
Die Vereine müssen lernen, dass sie ihre Aufführungspraxis an die Qualität ihrer Musik und ihrer eigenen Leistung anpassen müssen: Ein Erlebnis dieser Höchstklasse will in seiner emotionalen Tiefe nach Hause transportiert werden. Das Schlussfanal der Queen-Symphonie hätte ein berührtes, begeistertes, gefesseltes Publikum hinterlassen – jedes Wort danach bricht nicht nur diese Berührtheit von der Musik, sondern auch den zu Recht minutenlangen Applaus als Dank an Künstler und Komponisten. Es lohnt sich gewiss, auch beim „Drumherum“ Spitzenleistung zu bringen.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Qualität, die verpflichtet
Matthias H. Werner zum Neujahrskonzert auf Spitzenniveau