Es ist eine erstaunliche Zahl: 48 Prozent, also fast die Hälfte der Deutschen, fordern laut einer repräsentativen Umfrage von YouGoV, dass die eigene Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Katar nicht antreten sollte. Die Stimmungslage in der Republik in Bezug auf das Turnier im Wüstenstaat ist emotional, politisch und moralisch nachvollziehbar – dennoch wäre ein Boykott der falsche Weg.
Das größte Sportereignis des Planeten nach Katar vergeben zu haben, bleibt ein Skandal, der fassungslos macht. In ein Land, in dem Arbeiter bei der Errichtung der Stadien in brutaler Hitze wie Sklaven behandelt und zu Tausenden in den Tod getrieben wurden, in dem Homosexuellen sieben Jahre Gefängnis drohen, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, darf man keine Fußball-WM vergeben. Übrigens auch keine Leichtathletik- und Handball-WM, wie zuvor geschehen.
Der Weltsport hat sich von den Milliarden der Öl-Scheichs kaufen lassen. Diese Schande darf und muss man jeden Tag laut kritisieren. Aber im Fall des Fußballs wurde die falsche Entscheidung für Katar schon 2010 getroffen – also vor zwölf Jahren. Es wäre genügend Zeit gewesen, das Skandalturnier in der Wüste noch abzuwenden. Wenn die Verbände der großen Fußballnationen wie Deutschland, Brasilien, England, Argentinien, Frankreich oder Spanien rechtzeitig eine mächtige Anti-Katar-Allianz geschmiedet hätten. Damals hätte eine Boykottdrohung womöglich Wirkung gezeigt. Die Weltmeisterschaft hätte noch in ein anderes Land verlegt werden können.
Aber das ist nicht geschehen. Alle haben sich in die Büsche geschlagen. Deshalb klingt es reichlich wohlfeil, fünf Monate vor Turnierstart wieder über einen Boykott zu diskutieren. Stattdessen gilt es nun, wenigstens das Beste aus einer maximal miserablen Lage zu machen. Das bedeutet: Die Missstände im Ausrichterland immer wieder zu benennen und so öffentlichen Druck zu erzeugen, der vielleicht für eine punktuelle Besserung der Menschenrechtssituation sorgt.
„Wie konnte eine FIFA die WM in dieses Land vergeben?“, hat DFB-Direktor Oliver Bierhoff nach einer RTL-Dokumentation über die furchtbare Gängelung von Homosexuellen in Katar völlig zurecht gefragt. Die Erkenntnis ist also da. Hoffentlich folgt aus ihr bei den nächsten WM-Vergaben auch das entsprechende Handeln.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar WM in Katar: Boykott ist der falsche Weg
Die Stimmungslage in der Republik in Bezug auf das Turnier im Wüstenstaat ist emotional, politisch und moralisch nachvollziehbar – dennoch wäre ein Boykott der falsche Weg, meint Alexander Müller.