Ein persönliche Nachlese zur Europa-wahl hat uns dieser Leser geschickt:
In unserer kurzlebigen Zeit geraten die eine oder andere Wahlen schnell in Vergessenheit. Wer spricht heute noch über die zum Nachdenken anregenden Ergebnisse der letzten Landtagswahlen in Bayern und Hessen? Wichtiger scheint zurzeit der 1. und 22. September zu sein. Es geht um die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Darüber wird seit vielen Monaten viel geschrieben und geredet.
Auf die Qualität der Berichterstattungen und das Gerede eines großen Teils der Bevölkerung unserer Zivilgesellschaft zu diesen Wahlen will ich nicht weiter eingehen. Wie viel zu oft, wird moralisierend mehr übereinander als miteinander gesprochen, geschweige denn, dass sachliche Diskussionen über das Versagen unserer Zivilgesellschaft nach dem 8. Mai 1945 stattfinden.
Bezogen auf die drei Wahlen in den neuen Bundesländern stehen die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Mittelpunkt der kontroversen Diskussionen.
Das Versagen der etablierten Parteien spielt in den Berichterstattungen und Diskussionen fast keine Rolle. Stattdessen wird in den alten Bundesländern immer und immer wieder der moralische Zeigefinger erhoben.
Wie schon kurz nach der „Wende“ kommt es auch jetzt wieder zu Bewertungen und Verurteilungen, die nicht davon zeugen, dass wir „ein Volk“ sind – leider. Das Magazin „Der Spiegel“ bringt die weit verbreitete Meinung in den alten Bundesländern mit den Schlagzeilen, wie zum Beispiel „Jammertal Ost“ oder „Das Ende der Blütenträume – Absturz Ost“, zum Ausdruck. Spiegel-Online setzt dann noch den i-Punkt drauf: „Die Bewohner der Bundesländer Thüringen, Brandenburg und Sachsen haben im September bei den Landtagswahlen die große Chance, ihren Ruf endgültig zu verlieren.“ (Im Artikel: „Karlsruhe ist nicht ganz dicht“ von Roland Nelles vom 30. Juli)
Wie bewerten die Schwetzinger Bürger die Diskussionen über die bevorstehenden Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg? Ich frage mich in dem Zusammenhang immer wieder, wie viel Schwetzinger Mitbürger waren schon mehrfach in den neuen Bundesländern und führten einen ausführlichen Dialog mit den dortigen Mitbürgern? Oft erlebe ich, dass auch in Schwetzingen der moralische Zeigefinger eine große Rolle spielt. Ist dieser gerechtfertigt? Ich sage – Nein.
Was ist mit dem Ergebnis der Europawahl in Schwetzingen? Wurde das Ergebnis durch einen großen Teil der Mitbürger in Schwetzingen überhaupt wahrgenommen? Mein Gefühl ist – Nein. Bis heute habe ich nicht wahrnehmen können, dass die Schwetzinger Zivilgesellschaft, die Parteien und Institutionen, die Ergebnisse der Europawahl inhaltlich tiefgründig aufgearbeitet hätten. Warum wurde in den Medien nur in einem Nebensatz erwähnt, dass die AfD 13 Prozent der Wählerstimmen verbuchen konnte? Bürger in der Nordstadt wählten sogar mehrheitlich die AfD. Das Gemeinderatswahlergebnis in Pforzheim hätte doch eigentlich Mahnung genug sein müssen.
Eine Selbstkritik der 87 Prozent Nicht- AfD-Wähler ist zwingend notwendig, um somit die Voraussetzungen für die Beseitigung der Ursachen zu schaffen. Dazu muss eine Frage zwingend beantwortet werden. Wie kann es sein, dass es 79 Jahre nach dem 8. Mai 1945 immer noch heißt: Nie wieder? Nur Symptome zu beschreiben und zu reparieren, werden hinsichtlich der Fehlentwicklungen nichts bewirken.
Und noch eine Frage: Welchen Stellenwert besitzt das Thema im Wahlkampf der beiden Oberbürgermeisterkandidaten?
Jürgen Enseleit, Schwetzingen