Türkeiwahl: Wissen sie denn, was sie tun?

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Zur Stichwahl in der Türkei wird uns diese Meinung geschrieben:

Ich kann und ehrlich gesagt, will ich es nicht verstehen, wieso die Mehrheit der Deutschtürken aus Deutschland heraus eine Regierung in ihrem Herkunftsland wählt, die Werte und Grundrechte wie Pressefreiheit, Menschen-, Frauen- und Kinderrechte mit Füßen tritt. Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund, die vielleicht noch nie in der Türkei waren oder dort über längere Zeit gelebt haben – manche sprechen kaum mehr die Muttersprache – Deutschtürken, die hier geboren wurden, zur Schule gingen.

Man könnte doch meinen, sie seien mit den in unserem Land geltenden demokratischen Grundwerten in Berührung gekommen. Und jetzt wählen sie eine Regierung, die zum Großteil die Scharia streng interpretiert und Frauen und Mädchen halb soviel „Wert“ wie Männern zugesteht. Eine Regierung, die weder Inklusion noch Diversität befürwortet oder andere Meinungen gelten lässt?

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Wie kann das sein? Gebildete Deutschtürken, auch junge Menschen, die zum Teil hier studieren, aufgeklärt, modern und offen sein sollten. Warum wählen sie eine Regierung, die Kindesmissbrauch straffrei machen möchte, wenn der Vergewaltiger die Mädchen anschließend im „gegenseitigem Einvernehmen“ heiratet? Ehrlich, allein bei diesem Gedanken sträuben sich mir die Haare. Ich finde das wirklich sehr schlimm und habe kein Verständnis für dieses Wahlverhalten.

Ich habe mich mit deutsch-türkischen Frauen unterhalten, die sich in der Türkei nicht mehr trauen, in Spaghettiträgern im Sommer auf die Straße zu gehen, weil sie von vielen Männeraugen feindselig beobachtet und manchmal nicht nur verbal angegriffen werden. Argumente, dass viele Deutschtürken hier Ausgrenzungen und Anfeindungen erlebt haben, lasse ich persönlich nicht gelten. Es gehören oft zwei Seiten dazu. Auch ich habe als Gastarbeiterkind hier die eine oder andere Ausgrenzung und Diskussion in meiner Kindheit und Jugend erleben müssen, würde aber doch deswegen niemals einen Diktator im Herkunftsland meiner Eltern wählen?

Ja, es war nicht immer einfach, wenn man nicht „Maier, Müller, Schmidt“ hieß, dunkle lange Haare und dunkle Augen hatte oder eine andere Sprache sprach. Ein gegenseitiges „aufeinander zugehen“ war notwendig, ein durch kulturelle Veranstaltungen gegenseitiges Kennenlernen. Vor allem das eigene Verhalten sollte immer hinterfragt werden. Natürlich mussten sich die Gastarbeiter an die für viele von ihnen fremden Gegebenheiten anpassen. Manchen fiel es leicht, andere wiederum scheinen gar nicht damit zurechtgekommen zu sein. Aber wenn ich den Großteil meines Lebens in einem demokratischen Land lebe, wie kann ich dann im anderen Land das völlige Gegenteil davon wählen?

Nur, weil es die Eltern oder Großeltern so wollen? Nur, weil der amtierende Regierungschef mit seiner äußerst geschickten Rhetorik die Menschen emotional erreicht und in ihnen Werte wie Patriotismus, Vaterland, strenge Auslegung des Islams und was weiß ich, was noch anspricht? Ich finde diesen Gedanken unerträglich. Welche Macht ein Mensch doch hat, der andere Menschen auf diese Art und Weise manipulieren kann. In der Geschichte hatten wir leider zu viele davon.

Und jetzt liest und hört man, dass die Ampelkoalition die Einbürgerung weiter vereinfachen und beide Staatsbürgerschaften erlauben will? Ich hätte einen Gegenvorschlag dazu: Jedem Deutschen, egal, mit welchem Migrationshintergrund, der in seinem Herkunftsland eine Diktatur wählt, sollte die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden dürfen. Ich, die vor Jahrzehnten hier geboren wurde, habe mich vor einigen Jahren einbürgern lassen und weiß, dass man sich mit seiner Unterschrift zu den demokratischen Grundwerten bekennen muss.

Solch ein Wahlverhalten, wie derzeit leider von viel zu vielen Deutschtürken an den Tag gelegt wird, straft dieses Bekenntnis Lügen.

Ich bedauere das sehr.

Raquel Rempp, Schwetzingen