Mannheim. In der Politik gehört der Rücktritt zur Machthygiene. Der Rücktritt ist die Erinnerung daran, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und die Verantwortung in den höchsten Ämtern ein flüchtiges Gut ist. Das politische Tagesgeschäft besteht aus endlos vielen Stolperfallen, denn das Parteiensystem ist darauf angelegt, den politischen Gegner des Versagens zu überführen.
Ein Rücktritt im System Kirche vollzieht sich nicht nach derartigen Mechanismen, weshalb er schwerer wiegt. Natürlich gibt es auch in kirchlichen Gremien widerstreitende Lager, aber nie mit dem Ziel, die wichtigste repräsentative Person aus ihrem Amt zu treiben. Es muss schon Gewaltiges geschehen, wenn - wie in diesem Fall - in wenigen Tagen der Rückhalt derart schwindet, dass nur noch der Rücktritt von allen Ämtern bleibt. Aber was ist denn geschehen?
Annette Kurschus ist das Thema wichtiger als ihre Person
So schnell, wie die Vorwürfe einer möglichen Vertuschung von sexuellem Missbrauch ans Licht kamen, so schnell hat Annette Kurschus als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD) und Präses der westfälischen Landeskirche ihre Konsequenzen gezogen. Gerade Kurschus hatte sich der Aufklärung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext verschrieben. Weil sie sich keiner Schuld bewusst ist, unterstreicht ihr Abgang, dass ihr das Thema wichtiger ist als die eigene Person und das eigene Amt. „Ich kann meinen Dienst nicht wirksam tun, wenn meine Aufrichtigkeit öffentlich angezweifelt und infrage gestellt wird“, so Kurschus in ihrer Erklärung.
Vielleicht hat auch der eine oder andere katholische Würdenträger die Worte vernommen. So und nicht anders dient man der Kirche und den Mitgliedern. Eine Frau macht es ihren Amtsbrüdern vor, wie Verantwortung und Moral einhergehen.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Evangelische Kirche Annette Kurschus zeigt, wie Verantwortung aussehen muss
Der Rücktritt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Annette Kurschus, ist ein ein kleines Erdbeben. Die oberste Repräsentantin der Protestanten duckt sich dabei nicht weg, kommentiert "MM"-Chefredakteur Karsten Kammholz