Das Wichtigste in Kürze
Vor 185 Jahren bekommen die Brühler die Kollerinsel aus bayerischer Hoheit wieder zurück – der Status der Halbinsel sorgte zu Verwirrungen bei den Herrschenden.
Brühl. Die ganze Landkarte Europas ist politisch durch den Rhein in zwei Teile geteilt. Die ganze Karte? Nein! Zwei von unbeugsamen Badenern bevölkerte Kommunen hören nicht auf, ihren auch linksrheinisch Widerstand gegen die Einvernahme gegen Frankreich und Rheinland-Pfalz zu leisten, denn ihre Gemarkung endet nicht am rechtsrheinischen Flussufer. Die beiden Gemeinde sind Konstanz und Brühl.
Doch anders als beim Gallierdorf, an das der Einstieg erinnert, ist die politische Thematik durchaus nicht antik. Sie wirkt teilweise bis in die Jetztzeit. Wie kam es dazu? Nun, bis in die 1830-er Jahre hinein gab es in Brühl keine Frage, wohin die Wiesen und Felder auf dem Koller gehören. Der Rhein floss schwungvoll in einer Kurve um den Koller herum – dort, wo heute der Otterstädter Altrheinarm zu finden ist. Von Ketsch bis Neckarau konnte man trockenen Fußes auf das heute linksrheinische Areal gelangen, denn vom aktuellen Flussverlauf zeugte damals noch nicht einmal ein Rinnsal.
Doch dann kam Offizier und Ingenieur Johann Gottfried Tulla. Er begradigte den Rhein und trennte somit das rechtsrheinische Brühl von seinen linksrheinischen Gebieten, der heutigen Kollerinsel, ab.
Rhein wird bei Brühl vom unberechenbaren Zerstörer zu einer Lebensader
Die von ihm geplante Rheinbegradigung sollte die Hochwassergefahr senken, das Land entlang des Stroms entsumpfen und urbar machen, die Seuchengefahr eindämmen und die Schifffahrt erleichtern – das waren die Eckpfeiler seiner Planung. „Wir werden dem Fluss ein ganz neues Bett schaffen. Einen geraden Verlauf, nach unseren eigenen Vorstellungen und Berechnungen. Nur so lässt er sich zähmen, wird vom unberechenbaren Zerstörer zu einer Lebensader“, war seine feste Überzeugung.
Vor über 190 Jahren wurde diese Mammutaufgabe bei Brühl begonnen. Auch wenn dieser Teilabschnitt Ketscher Durchstich heißt – weil er eben in der Nachbargemeinde startet – teilte er ab dem ersten Spatenstich 1833 die Brühler Gemarkung in einen links- und einen rechtsrheinischen Bereich.
Dass die Kollerinsel mit einer Fläche von ungefähr 400 Hektar Teil eines späteren baden-württembergischen Hoheitsgebietes sein würde, sah damals noch niemand der Herrschenden.
Im Tauziehen zwischen dem Speyerer Bischof und dem Kurfürsten
Also zurück in die Vergangenheit. Schon in frühester Zeit bildete der Koller einen bedeutenden Teil des Brühler Niederungsgeländes am Rhein, das im 13. und 14. Jahrhundert in Urkunden genannt wird. Nach diesen Quellen gehörte das damals noch komplett rechtsrheinische Gebiet unter der Bezeichnung „Kolder“ den Bischöfen von Speyer. Im 16. Jahrhundert wurde der Gemeinde „Walzenheim“, dem heutigen Waldsee, die auf der anderen Rheinseite benachbart war und ist, von Speyer das Weiderecht auf dem Koller eingeräumt.
Aber Brühl gehörte nur zu drei Vierteln zu Speyer, der Rest unterstand der Kurpfalz. Sie hatte als Mitbesitzer auf dem Koller ebenfalls ein Weiderecht, auf das die Kurpfälzer auch drängten. Etwa acht Hektar der Kollerwiesen vergaben die Heidelberger Ämter deshalb in ihrem Namen an einige Brühler. Wenig später gehörte ganz Brühl zur Kurpfalz.
Säkularisation durch den Franzosenkaiser Napoleon
Die Säkularisation durch die Napoleonischen Kriege nahm die rechtsrheinischen Besitzungen größtenteils ihren bisherigen Landesherren. Auch die Kurpfalz war plötzlich Geschichte. So tauchten als neue Herren von Napoleons Gnaden die Badener auf, die Brühl und damit auch den Koller in Besitz nahmen.
Doch schon 1825 schlossen Baden und Bayern – München gab damals in den pfälzischen Gebieten den Ton an – ein Abkommen, das für die Kollerinsel neue Landesfarben bedeutete. Inzwischen hatte Tulla die Rheinkorrektion vorangetrieben. Damit wechselte der Koller auf die andere Seite des neuen Flussbettes, das künftig die Grenze zwischen Baden und Bayern-Pfalz sein sollte.
Brühler Kollerinsel ist kurzzeitig bayerisch
Doch 1840, also vor 185 Jahren, wollten die Bayern für ihre Festung Germersheim auf dem nordwestlichen Teil der einst pfälzischen, nunmehr aber komplett badischen Insel Elisabethenwörth bei Philippsburg einen rechtsrheinischen Brückenkopf errichten.
So wurde vereinbart, dass dieser Landstrich künftig bei Bayern verblieb und gegen die flussabwärts gelegene Kollerinsel eingetauscht werden sollte. Damit war dieser Teil Brühls wieder badisch – und das blieb sie auch mehr oder weniger bis heute. Gleichzeitig findet sich bei Philippsburg bis heute ein Stück Rheinland-Pfalz auf rechtsrheinischem Gebiet.
Dass die Kollerinsel badisch bleiben sollte, ist eine Aussage, die weit weniger selbstverständlich ist, als sie zunächst klingt. Denn immer wieder weckte die badische Enklave rheinland-pfälzische Begehrlichkeiten. Zuletzt, als das Nachbarbundesland einen Taschenpolder zu errichten hatte, für den sich die Kollerinsel ideal anbot. Zwar errichtete die Mainzer Regierung tatsächlich ihr Hochwasserrückhaltebecken auf dem Brühler Koller, doch die Halbinsel mit der Landverbindung zur Pfalz blieb unter baden-württembergischer Hoheit.
Diente der Ringdeich, der früher mit einer Länge von sechs Kilometern die Kollerinsel umschließt, früher dem Hochwasserschutz der Halbinsel, wird er inzwischen dazu benutzt, bei einem Jahrhunderthochwasser die stromabwärts liegenden Städte und Gemeinden vor einer Überflutung zu schützen. Das ist bisher zwar noch nicht geschehen, aber im vergangenen Jahr stand die Flutung kurz bevor.
Über ein auffallendes, 35 Meter breites Bauwerk im Deich am Hauptstrom, wird, wenn der Rhein extrem über die Ufer zu treten droht, das Innere der Insel geflutet und so der Hochwasserscheitel erniedrigt. So kann Rheinland-Pfalz zwar seiner rechtlichen Verpflichtung beim Hochwasserschutz nachkommen, aber eben auf badischem Gebiet
Die Hufeisenfahne weht allerdings nach 185 Jahren weiterhin auch linksrheinisch. Das änderte sich auch nicht, als vor wenigen Jahren die Finanzierung der Kollerfähre als „schwimmende Brücke“ einer baden-württembergischen Landesstraße in der Diskussion war.
Allierte der Weltkriege sind immer wieder verwirrt
Und zurück in der Geschichte sind wir wieder bei verwirrten Außenstehenden. Denn auch 1945 waren sich Amerikaner und Franzosen nicht darüber im Klaren, zu welcher Besatzungszone die Kollerinsel nun gehört. Als Folge war dieser Grenzbereich nur spärlich bewacht.
Viele ehemalige Soldaten der Wehrmacht nutzten deshalb diesen Rheinübergang, um von der einstigen Westfront unbemerkt in die Heimat rechts des Rheins zu fliehen und so der Kriegsgefangenschaft zu entgehen, denn eigentlich wollte niemand von den Alliierten die Kollerinsel besetzen.
Diese Unsicherheit der Hoheit fußt auch in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. 1918 schrieb das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne die Besetzung der linksrheinischen Gebiete Deutschlands und mehrerer Brückenköpfe auf dem rechten Rheinufer durch die alliierten und assoziierten Mächte vor. Dementsprechend wurde die Pfalz, die seit 1816 zu Bayern gehörte, im Dezember 1918 durch die französische Armee unter General Gérard besetzt.
Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags sollte die Pfalz ab 1920 als Teil der „Dritten“ oder „Mainzer Zone“ der Besatzungsgebiete für weitere 15 Jahre bis 1935 besetzt bleiben – das war zumindest geplant.
Es gab aber einen Flecken, der sorgte schon vorher für besondere Probleme, denn er lag zwar linksrheinisch, gehörte aber zu einer rechtsrheinischen Gemeinde – eben die Brühler Kollerinsel. Für die französische Administration war es allerdings kein wirkliches Thema: Dieser Landstrich lag auf ihrer Seite des Rheins, sie war damit auch Besatzungsgebiet – „et c’est la fin!“. Wenn Brühler auf ihre Felder auf der „l’Isle Koller“ wollten, um sie im französischen Besatzungsgebiet zu bestellen, benötigten sie entsprechende Grenzpapiere.
Brühl wird zur Grenzlandgemeinde
Vor 100 Jahren war Brühl damit Grenzlandgemeinde – „eine internationale Staatenlinie zog sich mitten durch die die Gemarkung“, fasst der Vorsitzende des Brühler Heimatvereins Dr. Volker Kronemayer die damalige Situation zusammen.
1923 verschärften die Rheinlandbesetzung und der daraus entstehende Ruhrkampf die eigentümliche Grenzsituation auch zwischen dem rechtsrheinischen Brühl und der Kollerinsel noch einmal deutlich. Kronemayer zitiert dazu den aus Brühl stammende Landtagsabgeordnete Heinrich Brixner, der 1925 in der Zweiten Kammer des Badischen Landtages rückblickend feststellte: „Auch das Jahr 1923 hat uns bei der Rheinbesetzung auf der Kollerinsel sehr gefährdet, wir haben sehr schwer zu leiden gehabt. Wir haben die Frühjahrsbestellung machen dürfen, aber als wir an die Ernte gehen wollten, waren die Besatzungstruppen da und wir konnten nicht mehr die Koller bekommen.“ Doch Brixner erinnert sich, dass „es nach zehntägiger schwerer, ununterbrochener Arbeit gelungen ist, daß wir die Kartoffel und das Getreide frei bekommen konnten, ohne etwas zu bezahlen. Natürlicherweise mußten wir die schärfste Kontrolle aushalten, es wurde alles auf das Schärfste kontrolliert.“
Das Verhalten der Wachmannschaften führte damals noch zu anderen Problemen mit der Besatzungsmacht auf der Kollerinsel. So beschwerte sich der damalige Bürgermeister Carl Pister im Mai 1923 beim französischen Kommandeur darüber, dass seine Soldaten „eine ganze Anzahl von Schüssen abgaben, sodaß die Geschoße größtenteils auf den Straßen des Ortsteils Rohrhof einschlugen. Ein Mann, der die Straße Brühl – Rohrhof passierte, war in größter Lebensgefahr.“ Die „Karlsruhe Zeitung“ und die „Mannheimer Volksstimme“ berichteten ebenfalls über diesen Vorfall. Über Konsequenzen für die Schützen ist allerdings nichts bekannt.
Geschichte wiederholt sich auf dem linkrheinischen Ortsbereich
Vor etwas über 100 Jahren hatte sich die Situation also zugespitzt – die Kontrollen am Brühler Rheinübergang wurden schärfer. Das änderte sich auch kaum, als Trupps bewaffneter Separatisten mit der Unterstützung französischer Militäreinheiten die öffentlichen Gebäude der größeren pfälzischen Ortschaften besetzten. So fiel ihnen im November 1923 auch das Speyerer Regierungsgebäude in die Hand. Zwei Tage später etablierte sich dort eine „Regierung der Autonomen Pfalz“. Im Juni 1925 waren noch immer etwa 13 500 französische Soldaten dort stationiert. Erst im Juni 1930 räumten die französischen Truppen endgültig diesen Landstrich – die Brühler durften wieder unkontrolliert mit der Fähre auf die nunmehr deutsche Kollerinsel fahren.
Allerdings sollte sich die Geschichte wiederholen. Nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten die Franzosen wie auch schon in der Nachkriegszeit zuvor das linksrheinische Ufer ihrer alliierten Zone. Und wieder war man sich in Paris und Washington nicht einig, in welche Zone die Kollerinsel nach 1945 fallen sollte. Um keinen Ärger mit den Amerikanern zu provozieren, entschied man sich auf französischer Seite, lieber die Finger von der Kollerinsel zu lassen.
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Die Amerikaner andererseits schienen für das linksrheinische Gebiet kein Interesse zu zeigen. Daher war die Brühler Kollerinsel von Soldaten kaum bewacht und nach dem Krieg für viele Wehrmachtsangehörige, die aus Frankreich nach Hause flohen, eine gute Möglichkeit, unbemerkt den Rhein zu überqueren, wie sich Zeitzeugen noch heute erinnern. Doch mit der Gründung der Bundesrepublik erhielt Baden-Württemberg und damit Brühl die Kollerinsel rechtsverbindlich zurück.
Selbst das Problem Kollerfähre ist geklärt
Die Amerikaner andererseits schienen für das linksrheinische Gebiet kein Interesse zu zeigen. Daher war die Brühler Kollerinsel von Soldaten kaum bewacht und nach dem Krieg für viele Wehrmachtsangehörige, die aus Frankreich nach Hause flohen, eine gute Möglichkeit, unbemerkt den Rhein zu überqueren, wie sich Zeitzeugen noch heute erinnern. Mit der Gründung der Bundesrepublik erhielt Baden-Württemberg und damit Brühl die Kollerinsel rechtsverbindlich zurück.
Auch das Hin und Her wegen der Finanzierung der Fähre vor wenigen Jahren sorgte nicht für eine Veränderung – auch wenn es mancher aus der damaligen baden-württembergischen Landesregierung angesichts der hohen Kosten gern gesehen hätte, wie zu vernehmen ist. Man fand eine Lösung durch eine Teilprivatisierung, die die Ausgaben für „the Land“ im Rahmen hält.
Brühl findet man damit nach wie vor an beiden Uferseiten des Rheins. Und daran gibt es von allen politisch Beteiligten derzeit auch nichts zu deuteln – das sehen sogar die zuständigen Stellen in Rheinland-Pfalz so, wie auf Rückfrage dieser Zeitung bestätigt wurde. Und so beginnt auch morgen wieder ein neuer Tag in der linksrheinischsten badischen Gemeinde der Welt, um erneut die Comic-Gallier zu bemühen.
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