Im Interview

Kabarettist Christoph Sieber will in Brühl Besucher zum Nachdenken über Weltlage anregen

Der Kabarettist Christoph Sieber kommt am 25. September mit dem Programm „Weitermachen“ in die Brühler Festhalle. Wir haben mit dem Kabarettisten im Vorfeld über sein Programm und seine Erfahrungen mit Brühl gesprochen.

Von 
Ralf Strauch
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Wie immer garniert Christoph Sieber in Brühl aktuelles politisches Kabarett mit den großen Themen der Zeit: Fußball, Politik, Gesellschaft und die Frage, warum Nacktmulle so selten shoppen gehen. © Tatiana Kurda

Brühl. „Weitermachen!“ ruft Kabarettist Christoph Sieber seinem Publikum am Donnerstag, 25. September, ab 20 Uhr in der Bühler Festhalle zu. Nach einem halben Jahr Pause ist Sieber wieder auf Tour. Die Welt ist voller Katastrophenmeldungen und da ist es richtig und wichtig, dass einer gegen den Irrsinn anspielt, heißt es in der Ankündigung. In einer Welt der Untergangsszenarien will Sieber klarstellen: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Am Ende siegt der Humor. Aufgeben ist für ihn keine Option.

Wir sprachen mit dem Kabarettisten im Vorfeld seines Auftritts über das Programm, seine Erfahrungen mit Brühl und das Leben im Allgemeinen.

Ist der Titel Ihres Programms „Weitermachen!“ ein Aufruf oder Resignation?

Christoph Sieber: Ich habe ja immer Titel, die ein wenig beides beinhalten. Tatsächlich gibt es in dem Programm auch einen Teil, in dem ich meine Bedenken über den Zustand unserer Demokratie, den Zustand unseres Landes zum Ausdruck bringen. Aber – und das kann ich jetzt schon sagen – Kabarett muss auch in diesen Tagen den Menschen Hoffnung machen und darf die Leute nicht mit dem Gefühl, dass alles verloren ist, entlassen. Diese Sicht wäre auch nicht meine Intention, denn ich glaube, wir brauchen mehr Hoffnung und noch mehr Gelassenheit in gesellschaftlichen Diskussionen. Ich habe das Gefühl, es wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und jede Diskussion zum Kulturkampf erhoben. Davon bin ich inzwischen ein großer Gegner. Wir müssen mehr miteinander und weniger übereinander reden.

Kollegen von Ihnen haben sich schon die Frage gestellt, ob Kabarett überhaupt noch etwas bringe, wenn sich doch nach dem Applaus nichts außerhalb der Säle ändere – wie sehen Sie das?

Sieber : Natürlich bleibt ein bitterer Beigeschmack, wenn das so ist, dass die Leute sagen: „Er hat ja recht“ und dann trotzdem weitermachen. Denn dann ist das „Weitermachen!“ genau das, woran wir kranken: Wir haben in Deutschland sehr viele Entwicklungen verschlafen und haben nun einen Riesenberg an Veränderungen vor uns. Doch der Mensch ändert sich halt nicht gerne. Aber ich rede halt lieber über die Veränderung an sich. Im Programm geht es beispielsweise um das Gehirn. Das verändert sich gar nicht gerne. Alle denken, das Hirn freue sich auf alles, was da so kommt und dass es etwas Neues angehen kann – das tut es aber überhaupt nicht. Das Gehirn ist eigentlich so angelegt, dass es immer weitermachen möchte wie bisher, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Das klappt am besten im Automodus.

Wie bauen Sie das ins Programm ein?

Sieber : Selbst die Gedanken, die ich mir über das Gehirn mache, sind komisch. Und das ist es, was einen Liveabend ausmacht, der mir und den Leuten Spaß macht. Das ist meine Grundintention, denn ich habe mich immer schon als Entertainer gesehen, als Unterhalter. Natürlich mit Haltung, die gehört auch dazu, aber mir ist die Unterhaltung auch sehr wichtig. Wenn der Mix klappt, gehe ich beglückt aus dem Abend. Und wenn dann am Ende der eine oder andere entscheidet, jetzt mal etwas anders zu machen, wäre dies das i-Tüpfelchen auf dem Ganzen. Aber ich bin kein Aktivist, ich gehe nicht hin und sage den Menschen, dass sie sich ändern müssen. Das können gern andere machen.

Dennoch machen Sie in ihrem TV-Format „Mitternachtsspitzen“ auch anklagende Nummern, oder sehe ich das falsch?

Sieber : Nein, aber man muss das Fernsehen unterscheiden von Liveauftritten. Im TV-Format habe ich eine größere Macht. Dann bekomme ich auch immer wieder sehr viele E-Mails von Leuten, die das betroffen gemacht hat. Und Betroffenheit hilft dann manchmal bei Veränderungen, um uns zu vergegenwärtigen, dass es doch bei vielen Themen im Argen ist. Und das ist dann doch auch wieder eine Aufgabe des Kabaretts, auch bei Auftritten im Saal: Da hinzugucken, wo man nicht gerne hinguckt, was man gerne verdrängt. Ein Beispiel ist die Misere in der Pflege. Wir sind eine alternde Gesellschaft, wissen um die Zustände in den Pflegeheimen, aber wir ändern es nicht. Warum? Wir leben in dem Glauben, dass uns das nie betreffen wird. Da werde ich auch manchmal bitter und halte es den Leuten auch vor, dass wir in der Gesellschaft einen Verdrängungsmechanismus haben und dem Problem nicht ins Auge blicken wollen. Dann wird es auch in meinem Programm wenig „entertaining“. Aber ich mag es, wenn die Leute durch ein Wechselbad der Gefühle gehen. Live heißt immer auch: Es ist ein Abend der Überraschungen.

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Was heißt das?

Sieber : Humor und Satire haben unheimlich viele Möglichkeiten. Sie können zum Lachen führen, sie können aber auch dazu führen, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Das ist ein Spannungsbogen, den ich unheimlich interessant finde.

Erinnern Sie sich noch in Ihren ersten Auftritt in Brühl?

Sieber : Ich kann mich an einige erinnern – ob der erste dabei ist, weiß ich nicht. Wieso?

Damals hatte Sie trotz TV-Präsenz kaum mehr als zwei Dutzend Zuschauer im Saal.

Sieber (lacht) : Oh Gott, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber mir war auch zu Anfang meiner Karriere immer wichtig, nie einen Auftritt wegen zu wenig Publikum abzusagen, weil die Leute, die Karten gekauft haben, diejenigen sind, die wirklich wollen. Die sollte man nicht enttäuschen. Eigentlich müsste man stattdessen während des Abends an den Türen im Dorf klingeln und fragen: „Wo bleibt ihr eigentlich?“

Woran erinnern Sie sich denn in Brühl?

Sieber : Ich habe die schicke Festhalle eigentlich immer als Hexenkessel in Erinnerung. Und ich weiß, dass es in Brühl stets sehr familiär zugeht. Es ist Provinz, aber trotzdem nicht provinziell, sondern sehr professionell. Da war aber einmal ein Abend mit Stromausfall. Da wurde mir schon vorher gesagt, wenn die Straßenbeleuchtung angeht, haben wir wegen einer Baustelle vor der Tür in der Halle keinen Strom mehr. Da haben wir halt einfach ohne Technik und Mikro weitergemacht – nach fünf Minuten floss die Elektrizität in der Halle aber wieder.

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Können Sie noch etwas mehr zum aktuellen Programm verraten?

Sieber : Ich rede nicht zwei Stunden ununterbrochen, sondern nutze auch meine pantomimischen Kenntnisse, ich spiele mit Figuren, es gibt Musik – und es wird getanzt. Ich lege immer großen Wert darauf, dass die Leute nicht nur was fürs Gehirn bekommen, sondern dass auch etwas dabei ist, was einfach lustig ist und bei man abschalten kann. Thematisch lässt sich sagen, dass ich mich nicht über Politiker lustig mache. Da ist das Personal zu austauschbar – ein Beispiel: Kaum hat man sich über das Aus des Streits der Ampel gefreut und Neues erwartet, da sinkt der Stern der neuen Koalition auch schon wieder und alle sind wieder so zerstritten wie in Ampelzeiten. Deshalb interessieren mich die Figuren in der Politik eigentlich viel weniger als das Große und Ganze. Was macht das gesellschaftlich mit uns? Was mit dem Zusammenleben, mit der Solidarität, mit dem Auseinanderklaffen von Armut und Reichtum? Und natürlich geht es auch um den Zustand unserer Demokratie, die wir gerade auch fast schon lapidar wegwerfen. Wenn es jetzt Neuwahlen gibt, dann will ich nicht darüber nachdenken müssen, was passiert.

Ohne historische Parallelen zu ziehen: Aber tanzen wir wieder auf dem Vulkan?

Sieber : Ich halte die Situation schon – und das erzähle ich auch im Programm – für ziemlich kritisch. Wenn man den Zustand der USA ansieht und die Hoffnung der Menschen nach einem Erlöser erkennt, der erklärt, dass es die eine Lösung für alles gibt und alles einfach ist, dann ist das bedenklich. Auch in Deutschland werden von Merz und Söder solche Hoffnungen geweckt, die dann nicht eingehalten werden. Da ist die Enttäuschung riesig. Und die AfD lebt davon, dass sie in der Opposition ist. Eigentlich will sie gar nicht regieren, weil sie dann an ihren vielen Versprechungen, die nicht eingelöst werden können, gemessen wird. Beispielsweise kann man ohne Arbeitnehmer mit Migrationsgeschichte den Laden Deutschland nicht am Laufen halten. Ich kann verstehen, dass sich die Bevölkerung wünscht, dass alles einfach ist, aber es ist nicht so. Wir müssen als Gesellschaft anerkennen, dass die Welt sich geändert hat und wir müssen uns auch ändern. Doch bei großen Veränderungen sagt das Gehirn gern „Nein!“ – um Energie zu sparen. Am Ende bleibt alles, wie es ist. Und so überholen uns viele andere Länder. Aber die Menschen, die bei mir im Programm waren, können hinterher zumindest sagen: Ich hab über all das wenigstens noch mal richtig gelacht.

Redaktion

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