Brühl. Wer in früheren Jahrhunderten in der Hufeisengemeinde erkrankte, der hatte kein leichtes Los, denn im Dorf gab es keine professionelle medizinische Hilfe. Das änderte sich erst, als im Schwesternhaus in der Kirchenstraße 1892 eine Krankenstation für Brühl und Rohrhof eingerichtet wurde. Deren erste Krankenschwester hieß Osmunda. Finanziell wurde die Station vom Krankenverein getragen, in dem fast alle Familien der Gemeinde Mitglied waren.
Wie der Heimatverein recherchiert hat, kann man ab dem ausklingenden 19. Jahrhundert davon sprechen, dass die medizinische Situation für die knapp 1000 Einwohner recht gut gewesen sei. Für die Betreuung von werdenden und jungen Müttern beispielsweise waren ab 1902 zwei Gemeindehebammen zuständig. Doch um die damalige Jahrhundertwende fehlte in Bühl und Rohrhof ein Arzt – und er fehlte schmerzlich, wie die Sterbebücher jener Zeit vermuten lassen.
Antrag für einen Neubau
Das änderte sich mit dem Zuzug von Dr. Franz Philipp Kraus aus Obernheim bei Worms, der 1912 seine Praxis in der Mannheimer Straße erbaute. Wahrscheinlich, so mutmaßt der Vorsitzende des Heimatvereins, Dr. Volker Kronemeyer, der unserer Zeitung als Fundstück das Familienfoto des Mediziners zukommen ließ, war der Arzt schon in den Jahren zuvor im Ort tätig gewesen, doch urkundlich wird das erst 1907. Damals heiratete der 1867 geborene Obernheimer die 17 Jahre jüngere Eva Rohr, die Tochter des Gastwirts Heinrich Rohr und dessen Ehefrau Katharina geborene Merkel, die in der „Krone“ hinter dem Tresen standen. Ein Arzt für die damals rund 1700 Einwohner – das klingt wenig. Die heute gut zwei Dutzend in Brühl niedergelassenen Mediziner versorgen rechnerisch jeder rund 600 Einwohner.
Doch zurück in die Ortsgeschichte: Das junge Paar beantragte fünf Jahre nach der Hochzeit, als Tochter Elisabeth Maria geboren war, den Bau eines Wohnhauses mit Arztpraxis auf dem Grundstück, das heute die Mannheimer Straße 37 ist.
Eine besondere Herausforderung
Im März 1912 wurde ihm nach Recherchen des Heimatvereins die Baugenehmigung für das Wohnhaus mit Remise und Waschküche erteilt. Die Bauarbeiten standen unter der Leitung von Friedrich M. Brixner. Eine der besonderen Auflagen war, dass ein Wartezimmer von mindestens zehn Quadratmetern eingerichtet werden musste. Eine weitere Anordnung forderte die Anlage einer wasserdichten Sickergrube im Garten sowie die Ableitung des Regenwassers vom Dach in den Garten „bis zur Erstellung einer Ortsstrassenrinne [sic] oder Tiefenkanalisation“, wie es in den Unterlagen hieß.
Eine besondere Herausforderung kam gegen Ende des Ersten Weltkriegs auf Dr. Kraus zu, als die gefährliche Spanische Grippe auch Brühl heimsuchte. Das Influenzavirus tötete in nur wenigen Monaten Schätzungen zufolge weltweit zwischen 27 bis 50 Millionen Menschen. Die Pandemie brach in drei Wellen vom Frühjahr 1918 bis 1920 rund um den Globus über die Menschen herein. „Erstaunlicherweise führte die Spanische Grippe nicht zu einer höheren Sterblichkeit in der Gemeinde, wohl aber verschoben sich die Diagnosen hin zu einer höheren Anzahl von Erkrankungen der Atemwege“, interpretiert Kronemeyer die Ergebnisse seiner Recherchen.
Die Anzahl der jährlichen Sterbefälle in der Gemeinde lag demnach zwischen 1911 und 1918 – ohne Gefallene des Weltkrieges – bei 55 Personen. Ab 1919 sank die Zahl der Todesfälle laut katholischen Kirchenbüchern auf unter 30 Personen und blieb den Einträgen zufolge im evangelischen Totenbuch bei zehn – allerdings mit heftigen Schwankungen.
Die Pandemie des Jahres 1918 verschonte also auch die Bevölkerung in Brühl und Rohrhof nicht. Zuerst traf es im Mai die 76-jährige Magdalena Gredel geborene Ber-linghof, dann den 80-jährigen Landwirt Martin Metzger und die 53-jährige Magdalena Langlotz geborene Filser. Aber auch ein Kind war betroffen: Die zweijährige Paula Geschwill erlag einer Lungenentzündung. Im August starb die 34-jährige Maria Geschwill geborene Schimmele und im Oktober die ein Jahr ältere Rosa Münkel, geborene Löffler – beide waren schwanger. In diesem Monat erlag auch die 37-jährige Oberin der Barmherzigen Schwestern in Brühl, Octavilla Schäfer, der Krankheit. Sie war seit September 1907 in Brühl tätig gewesen.
Sie ist die einzige Person, bei der als Todesursache ausdrücklich die „Spanische Grippe“ genannt wird – ansonsten steht lediglich Grippe oder Lungenverschleimung als Todesursache in den Büchern.
Ehrenbürger als Opfer
Weitere Opfer waren im Dezember Gertrud Gredel geborene Rey im Alter von 79 Jahren sowie der 33-jährige Fabrikarbeiter Franz Schimmele. Das prominenteste Opfer der Spanischen Grippe in Brühl wurde der Ziegeleibesitzer Johann Baptist Eder. Er war ehemaliger Landtagsabgeordneter, Ehrenbürger, Altbürgermeister und 40 Jahre Mitglied des katholischen Stiftungsrats.“ Er starb Ende Dezember 1918 im Alter von 80 Jahren – Todesursache laut Eintragung ins Sterbebuch: „Grippe“.
Eder war zugleich das letzte Opfer der Spanischen Grippe in Brühl. Im Jahr 1919 wurden keine weiteren Todesfälle durch Grippe, Lungenentzündung, Lungenpest in Brühl verzeichnet und für die Gemeinde war die Pandemie überstanden. Es mögen – für den heutigen Betrachter – wenige Todesfälle gewesen sein. „Mit Blick darauf, dass die Gemeinde in diesen Jahren nur etwa 2800 Einwohner zählte, von denen fast 800 bei Heer und Marine ihren Dienst versahen, war die Sterberate schon bemerkenswert“, bilanziert Kronemeyer.
Chronik der Seuchen und Pandemien in der Region
Über die Jahrhunderte hinweg haben Epidemien der Bevölkerung zugesetzt, auch im heutigen Rhein-Neckar-Kreis.
Im Mittelalter wütete in Europa die immer wieder auftretende Pest. 1125, 1223 und 1227 waren besondere Pestjahre. Zwischen 1347 und 1351 starben geschätzte 25 Millionen Menschen in Europa, ein Drittel der damaligen Bevölkerung.
Die letzte große Pestepidemie erfasste die Kurpfalz 1666. Sie soll annähernd 14 000 Menschen in der Region das Leben gekostet haben.
Ab dem späten 11. bis ins 16. Jahrhundert breitete sich die Lepra aus.
Im 15. Jahrhundert trat erstmals die Syphilis auf und verbreitete sich rasch – und hält sich bis heute.
Ähnlich ist es mit den Pocken, zuerst „Blattern“ genannt, ausgelöst durch ein Virus, gegen das es erst im 19. Jahrhundert eine Impfung gab. Die letzte große Epidemie überzog Deutschland nach dem Ende des Krieges mit Frankreich 1870/71.
In der frühen Neuzeit setzte vor allem in Schlechtwetterperioden des Frühjahrs das „Antoniusfeuer“, eine Vergiftung durch den Pilz Mutterkorn, den Menschen zu.
Außerdem grassierte 1529 in der Region der Englische Schweiß, eine hochinfektiöse Krankheit.
Typhus trat besonders nach dem Zweiten Weltkrieg in der Region auf.
Nach der Spanischen Grippe forderten die Asiatische 1957 und die Hongkong-Grippe 1968 viele Leben.
Zum Jahrtausendwechsel waren es weitere Grippeformen, die die Menschen beunruhigten. Seit vergangenem Jahr Covid-19. rnk/ras
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