Brühl. Ein Volksfest wie das an diesem Samstag beginnende Rohrhofer Sommerfest ohne Rummelplatz? Für viele Menschen schlichtweg unvorstellbar. Und das gilt nicht nur für die heutige Zeit, die ja oft als so erlebnishungrig dargestellt wird. Doch bevor nun die Angst geschürt wird, dass der aktuelle Rohrhofer Rummel eingeschränkt werden könnte, sei darauf hingewiesen, dass die Schausteller bereits alle Vorbereitungen für das behördlich abgesegnete Unterhaltungsspektakel getroffen haben.
Schon die Altvorderen zeigten, wie wichtig ihnen eine „Reitschul“ war. Das führte vor 110 Jahren sogar zu einer kleinen Rebellion gegen die Obrigkeit. Denn da hatte das Bezirksamt Schwetzingen einem Karussellbetreiber für die Kerwe die Spielerlaubnis entzogen. Der Schausteller kam trotzdem nach Brühl und baute sein Fahrgeschäft auf. Sofort kamen die Menschen zusammen, um diese Kerweattraktion zu nutzen. Die Zeitung schrieb vor 110 Jahren: „Es kam an jenem Sonntag zu erregten Szenen vor dem Karussell und die Menge erzwang schließlich die Inbetriebnahme.“
Doch ebenso direkt zeigte die Obrigkeit in Person eines Gendarmen, dass sie Anordnungen auch mit Zwangsmitteln durchzusetzen bereit sei. Das allerdings schürte den Volkszorn. „Das Publikum hat eine drohende Haltung gegenüber den Gendarmen eingenommen“, hieß es damals in der Zeitung. Der amtierende Bürgermeister Schäfer sowie die beiden sozialdemokratischen Gemeinderäte Pfister und Löffler erteilten dem Karussellbetreiber „um großes Unheil zu vermeiden“ spontan die Genehmigung zur Kerwe das Karussell in Betrieb zu nehmen.
In der Zeitung wurde festgestellt, dass es nur wegen des besonnenen Verhaltens der Bevölkerung zu keinen Ausschreitungen gekommen sei. Ein späteres Schmählied beschrieb die Lage von 1913 so: „Die Leut’ von Brühl, die sangen all’: ,Das lassen wir uns nicht gefall’n; entweder geht die Reitschul’ rum oder fällt das Schnapshaus um!’“ Mit dieser vergifteten Atmosphäre begründeten die drei Amtsträger ihre spontane Entscheidung.
Die Folgen für die drei Bürgervertreter: Schäfer wurden drei Monate später vom Bezirksrat in geheimer Sitzung ein Verweis „auf dem Disziplinarwege“ erteilt, die beiden Gemeinderäte sogar sofort und ohne jeden Aufschub ihres Amtes enthoben. Als Grund nannten die Schwetzinger, dass sich die beiden Ratsmitglieder „wegen Anstiftung zur Übertretung der Gewerbeordnung zu verantworten“ hätten.
Verdrehte Tatsachen
In manchen Zeitungen wurde die Sache allerdings ganz anders dargestellt. Da wurde berichtet, das Trio habe aus „nicht einzusehenden Gründen den Betrieb einer aufgestellten Karussel untersagt. Es kam an jenem Sonntag zu erregten Szenen vor dem Karussel und die Menge erzwang schließlich die Inbetriebnahme.“ Diese auch in Sachen Rechtschreibung nicht ganz koschere Darstellung, fasst die Situation nicht wirklich passend zusammen, wie ein Quellenstudium des Vorsitzenden des Vereins für Heimat- und Brauchtumspflege Dr. Volker Kronemeyer zeigt.
Doch welche Folgen hatten die Kerweereignisse für das Trio der Bürgervertreter? Fast auf den Tag genau vor 109 Jahren wurde ihre Suspendierung durch die Schöffen des Verwaltungsgerichtshofs in Karlsruhe, den beide Räte angerufen hatten, wieder kassiert. Pfister und Löffler durften zurück an den Ratstisch.
Damit endete das juristische Nachspiel der „Brühler Karussellangelegenheit“.
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