Brühl. Der literarische Abend in der Brühler Villa Meixner mit dem Historiker und Autor Oliver Hilmes stellte einen großen Gewinn für alle Geschichtsinteressierten dar. Sein neues Buch „Ende und Anfang. Wie der Sommer 45 die Welt veränderte“, das er anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes verfasste, gibt keine bekannten Tatsachen wieder, sondern versucht, aus der Sicht vieler Beteiligter, Antworten auf das Unfassbare zu finden: 60 Millionen Menschen waren im Zweiten Weltkrieg gestorben. Neun Millionen Frauen, Männer und Kinder hatten die Nazis in ihren Vernichtungslagern getötet, unter ihnen sechs Millionen Juden.
Dank seiner sachlichen, gut recherchierten Darstellung steht auch dieses Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste, ebenso wie das zwei Jahre davor erschienene mit dem Titel „Schattenzeit“. Oliver Hilmes zählt somit zu den herausragendsten deutschen Schriftstellern der Gegenwart. Umso größer war die Freude des Bürgermeisters Dr. Ralf Göck, Hilmes in der Villa Meixner willkommen zu heißen. „Das Thema des heutigen Abends ist von erschreckender Aktualität“, sagte er. „Über viele Jahrzehnte hinweg waren wir den Frieden gewöhnt und, wer hätte das für möglich gehalten, nun ist wieder von Aufrüstung die Rede, von Einführung der Wehrpflicht – eine beängstigende Entwicklung, die uns ratlos zurücklässt.“
Kanzler und Papst als Konkurrenten der Nachrichtenflut
Dass der prominente Gast nun „im Brühler Haus der Literatur, Kunst und Kultur“ sein Buch vorstellen konnte, sei in erster Reihe Barbara Hennl-Goll von der „Bücher Instel“, zu verdanken, betonte Göck. Sie habe den Kontakt hergestellt und sich bemüht, ihn nach Brühl zu bringen. Sein Dank galt auch der Kulturbeauftragten Katja Rheude, die alles vorbereitet und sich um die Organisation gekümmert hat.
Jeder wusste es zu schätzen, dass Oliver Hilmes an diesem Tag extra aus Berlin angereist war. Der Autor sagte, das Buch sei aus Anlass des Jubiläums am 8. Mai veröffentlicht worden. Doch zwei welthistorische Ereignisse kommen ihm dazwischen: Am 6. Mai soll Friedrich Merz zum Kanzler gewählt werden uns am 7. Mai beginnt das Konklave zur Papstwahl. „Das ist ärgerlich, denn der 8. Mai wird in den Nachrichten von diesen Ereignissen so überflutet sein, so dass das Thema dieses Buches, 80 Jahre Kriegsende, untergehen wird.“
Prominente und Unbekannte als Protagonisten
Im Verlauf des Abends in der Brühler Villa Meixner erwies sich Hilmes nicht nur als hervorragender Autor, sondern auch als erstklassiger Erzähler und Vorleser. „Ich wollte zwar ein Buch über das Kriegsende schreiben“, erläuterte er, „ohne aber darauf einzugehen, wie es dazu gekommen ist.“ Von Interesse war für ihn die Zeitspanne zwischen dem 8. Mai und dem 2. September 1945, an dem der Zweite Weltkrieg eigentlich endete. Dadurch entstand automatisch eine multiperspektivische Erzählweise, das heißt, es gibt Personen, die immer wieder auftauchen, andere wieder nur ein- oder zweimal. „Das ist wie in einem Orchester, wo der Dirigent die einzelnen Stimmen abmischen muss. Der eine ist stärker betont, der andere weniger.“
So wird jene Zeit aus der Perspektive von Personen geschildert, die Weltgeschichte geschrieben haben – wie Harry S. Truman, Josef Stalin, Winston Churchill –, aber auch von gewöhnlichen Leuten. Am Ende ergibt dieses große, bunte Mosaik ein einheitliches Bild. Hilmes las daraus eine Auswahl vor, die einen ersten Eindruck vom Buch vermittelte und neugierig auf die Lektüre machte. Als guter Kenner jener Epoche verstand er es, historische Persönlichkeiten mit Hilfe kleinster Details lebendig werden zu lassen – Persönlichkeiten, die allen bekannt sind, deren tiefenpsychologische Motivation aber weniger durchleuchtet wurden.
Brühler Publikum ist von Hilmes begeistert
Dank dieser Herangehensweise war es für die Zuhörer möglich, ein Verständnis für die Ereignisse zu entwickeln und sie auch emotional nachzuvollziehen. So zum Beispiel betont Göring, der in Gefangenschaft der Alliierten war und den Klaus Mann beobachtete, vor den Journalisten, dass er sich mit Hitler schon lange verkracht habe, und von dem, was in den Konzentrationslagern vor sich ging, keine Ahnung gehabt habe. Und als Thomas Mann in Kalifornien von der Presse gefragt wird, ob er glaube, dass Hitler tot sei, antwortet er sarkastisch: „Who cares?“
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Alle diese episodischen Geschichten, aus denen Hilmes las, handeln von Menschen, die das Kriegsende erlebten – als Befreiung, als Niederlage, als Moment der Gefangennahme, des Schams oder der Eroberung, als Moment der Rache oder Verdrängung, des Neustarts oder gar des Sich-neu-Erfindens. „Ein Ende und ein Anfang“ ist ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich für Geschichte interessieren und die Auswirkungen des Kriegsendes auf individueller und globaler Ebene nachvollziehen möchten.
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