Interview

Historiker liest in Brühl: Packendes zum Kriegsende 1945

Der Historiker Oliver Hilmes liest in der Brühler Villa Meixner aus seinem Buch „Ein Ende und ein Anfang“ über das Ende des Zweiten Welkriegs vor 80 Jahren. Die SZ hat mit ihm gesprochen.

Von 
Ralf Strauch
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Der Historiker und Autor Oliver Hilmes erzählt in „Ein Ende und ein Anfang“, wie Europa vor 80 Jahren zwischen Kapitulation und Hoffnung taumelte. © Max Lautenschlaeger

Das Wichtigste in Kürze

Der Historiker und Autor Oliver Hilmes liest in der Brühler Villa Meixner aus seinem Buch „Ein Ende und ein Anfang“ über das Ende des Zweiten Welkriegs.

Brühl. Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht endete am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg, in dem über 65 Millionen Menschen auf den Schlachtfeldern oder als zivile Opfer an der sogenannten Heimatfront getötet wurden. Damit jährt sich das Kriegsende in diesem Jahr zum 80. Mal. In Brühl haben die Kampfhandlungen bereits am Karfreitag, also Ende März 1945, mit dem Einmarsch der alliierten Truppen ein Ende gefunden.

Der Historiker und Autor Oliver Hilmes erzählt in „Ein Ende und ein Anfang“, wie Europa vor 80 Jahren zwischen Kapitulation und Hoffnung taumelte. Bevor er an diesem Dienstag, 29. April, ab 19 Uhr in der Villa Meixner aus diesem Buch liest, spricht er im Interview mit unserer Zeitung über die vier Monate zwischen dem Zusammenbruch des sogenannten Dritten Reichs am 8. Mai 1945 und der japanischen Kapitulation am 2. September, die die Welt neu ordneten – und die heute überraschend aktuell sind.

In Ihrem Buch spielen bekannte Persönlichkeiten eine Rolle, aber auch unbekannte Menschen. Was ist da Fakt und was Fiktion?

Oliver Hilmes: Es ist alles recherchiert und ich habe mir nichts ausgedacht – das ist mir ganz wichtig. Ich bin von Hause aus Historiker, und Historiker haben einen Fetisch: die exakte Quellenarbeit. Solche Quellen können Protokolle, Briefe, Akten oder andere Dokumente privater, aber auch staatlicher Natur sein, es können zudem Fotos sein. Insgesamt sind es Unterlagen, die Authentizität verleihen. Und ich arbeite nur auf Basis von Quellen, die auch im Anhang des Buches nachgewiesen werden. Ich bin also kein Romancier, kein Erzähler, ich denke mir demnach nichts aus.

Trotzdem ist „Ein Ende und ein Anfang“ eine packend und empathisch erzählte Geschichte – wie schaffen Sie das?

Hilmes: Nun, das eine schließt das andere ja nicht aus. Lange Zeit glaubte man in Deutschland, dass je verkopfter, je abstrakter, je unverständlicher man schreibe, um so wissenschaftlicher sei der Text. Das war jahrelang ein Irrtum, der in vielen akademischen Disziplinen vorherrschte: Je größer das Kauderwelsch, desto höher der intellektuelle Anspruch. In der angelsächsischen Tradition hingegen gab es schon immer das erzählende Sachbuch, das ganz streng wissenschaftlich ist, das aber Geschichte trotzdem literarisch anspruchsvoll und spanend wiedergibt. Das ist überhaupt kein Widerspruch. Ich sehe mich in dieser angelsächsischen Erzähltradition als studierter Historiker, aber eben auch als Schriftsteller.

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Welchen Stellenwert hat dabei Detektivarbeit? Was waren bei der Arbeit an Ihrem aktuellen Buch die aufschlussreichsten Entdeckungen?

Hilmes: Wie der Kriminologe einen Fall oder ein Verbrechen aufzuklären versucht, muss der Historiker ein geschichtliches Detail, einen historischen Zusammenhang oder auch ein ganzes Leben rekonstruieren. Die nötigen Indizien und Beweise, um bei dem Bild zu bleiben, findet man in Archiven. Als Historiker verbringt man Stunden, Wochen und mitunter Monate in Archiven und liest Akten, Briefwechsel, Tagebücher, betrachtet Fotos und dergleichen mehr. Vieles bringt einen nicht weiter, doch dann findet man plötzlich ein Dokument, das der Geschichte schlagartig eine ganz neue Wendung gibt. Dieses Glücksgefühl ist unbeschreiblich.

Welche Schicksale Ihrer Protagonisten gehen Ihnen besonders nach, wer hat Sie am meisten berührt?

Hilmes: Da gibt es eine ganze Reihe von Menschen. Da ist einerseits Else Tietze, eine Berliner Hausfrau, die im Buch eine größere Rolle spielt, obwohl sie in der Weltgeschichte keine Spuren hinterlassen hat. Man weiß nur, dass Else Tietze im Sommer 1945 in Berlin lebte und sich große Sorgen um ihre Kinder machte. Da sie nicht wusste, ob diese Kinder den Krieg überlebt haben, hat sie angefangen ein Tagebuch zu schreiben – zum ersten mal in ihrem Leben greift diese Frau zu Papier und Stift, um für die Kinder ihre Gedanken und Gefühle aufzuschreiben. So will sie ihnen – sollten sie überlebt haben – erklären, was passiert ist. Das ist ein ganz spannendes, bewegendes Dokument, das ich in einem Archiv als wichtige Quelle für das Buch gefunden habe. Ein anderer Fall ist der des jungen Gustav Senftleben, der im April 1945 wegen Fahnenflucht eigentlich zum Tode verurteilt wird, knapp das Dritte Reich überlebt, um dann im Vollrausch einen Nachbarn zu töten – und damit sein neu gewonnenes Leben wegwirft. Man glaubt es kaum, was in diesem Sommer 1945 alles passiert ist. So gibt es in dem Buch noch viele Beispiele, aber diese beiden Schicksale sind für mich besonders bewegend.

Gab es auch besonders kniffelige Nachforschungen?

Hilmes: Das trifft auf viele Personen zu. Beispielsweise auf besagte Else Tietze. Es war nicht einfach, etwas über sie herauszubekommen, weil sie abseits des Tagebuchs kaum Spuren hinterlassen hat. Es war gar nicht unproblematisch, ihr Geburtsdatum, die Namen der Kinder und ihren Wohnort in Erfahrung zu bringen - ihr Todestag ist mir nach wie vor unbekannt.

Welche persönliche Beziehung haben Sie zum Zweiten Weltkrieg?

Hilmes: Natürlich gab es auch bei mir die Großväter, die im Krieg gedient und mir davon erzählt haben. Aber wenn sie wie ich schon lange Zeit in Berlin leben, erkennen sie eine Stadt, die es unmöglich macht, sich diesem Krieg zu entziehen, denn Berlin ist bis heute noch vom Krieg gezeichnet. Als ich in den 1990er Jahren nach Berlin kam, da haben sie in Mitte noch ganze Straßenzüge gesehen, in denen die Fassaden zerschossen waren. Das gibt es heute zwar nur noch selten, aber in Berlin sind die Folgen des Krieges beim interessierten Hinschauen überall zu entdecken.

Da sind wir beim aktuellen Bezug – gibt es Parallelen zum derzeitigen weltpolitischen Geschehen?

Hilmes: In Europa findet seit Februar 2022 ein brutaler Krieg statt. Doch auch dieser Krieg wird irgendwann, hoffentlich sehr bald, ein Ende finden. Doch wie werden dieses Ende und der darauffolgende Neuanfang aussehen? Präsident Harry S. Truman hat unter dem Eindruck seiner Erfahrungen mit der stalinistischen Sowjetunion in der Nachkriegszeit die amerikanische Außenpolitik neu ausgerichtet. Jede Nation sollte nach seiner Ansicht zwischen alternativen Lebensformen wählen können. Er versprach, den freien Völkern, die drohten, in die Hände Moskaus zu fallen, militärisch beistehen zu wollen. Diese Garantie, die als Truman-Doktrin in die Geschichte eingehen sollte, löste die seit den 1820er-Jahren geltende Monroe-Doktrin ab, der zufolge sich die USA nicht in europäische Angelegenheiten einmischen wollten. Genau das könnte aber bald wieder die Devise der US-Außenpolitik unter Donald Trump sein. Doch wer schützt dann Europa? Fragen wie diese machen den Blick auf 1945 so spannend und brandaktuell!

Karten für die Lesung mit Oliver Hilmes an diesem Dienstag, 29. April, ab 19 Uhr in der Villa Meixner gibt es im Vorverkauf für 15 Euro an der Rathauspforte, Telefon 06202/2 00 30, sowie im Kundenforum unserer Zeitung in Schwetzingen, Telefon 06202/20 52 05. An der Abendkasse kosten sie 2 Euro mehr.

Redaktion

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