Brühl. Nicht immer war die Beziehung zwischen den Deutschen und Franzosen derart harmonisch wie seit 1977 in der Brühler Partnerschaft mit Ormesson-sur-Marne. Spätestens als der Maréchal Ezéchiel de Mélac mit den französischen Trupen des Sonnenkönigs Ende des 17. Jahrhunderts und dem Befehl „Brulez le Palatinat“ die kurpfälzer Siedlungen niederbrannte, war die sogenannte Erbfeindschaft geboren, die bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen den „Franzmännern“ und den „Boche“ andauerte.
Einen Keil zwischen die Menschen aus beiden Staaten trieb auch die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. 1918 schrieb das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne die Besetzung der linksrheinischen Gebiete Deutschlands und mehrerer Brückenköpfe auf dem rechten Rheinufer durch die alliierten und assoziierten Mächte vor. Dementsprechend wurde die Pfalz, die seit 1816 zu Bayern gehörte, im Dezember 1918 durch die französische Armee unter General Gérard besetzt. Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags sollte die Pfalz ab 1920 als Teil der „Dritten“ oder „Mainzer Zone“ der Besatzungsgebiete für weitere 15 Jahre bis 1935 besetzt bleiben – das war zumindest geplant.
Ortsgeschichte Brühl: Es regt sich passiver Widerstand
Nach der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen im Januar 1923 galten in allen von Frankreich besetzten Gebieten heftige Sanktionen der Rheinlandkommission. In der Pfalz richtete sich die „Pfänderpolitik“ vor allem auf die Einnahmen aus der Holzgewinnung in den Staats- und Gemeindeforsten. Die Besatzungsmacht holzte damals ordentlich ab.
Es entstand ein passiver Widerstand der Pfälzer gegen diese Plünderung ihrer Heimat. Die Besatzungsmacht reagierte mit der Ausweisung von mehreren Tausend Einwohnern. Doch es kam noch dicker: Die Franc-Währung im Saargebiet, Zölle in hochwertigen Devisen auf Waren aus dem rechtsrheinischen Deutschland und die Sperrung fast aller Rheinübergänge beschleunigten die Inflation der Mark und brachten das Wirtschaftsleben der Pfalz fast ganz zum Erliegen.
Die Verschärfung des sogenannten Ruhrkampfs durch Aktionen gewaltbereiter Gruppen im Kohlepott beschworen 1923 zusätzliche Gefahren herauf. Die Situation drohte vor 100 Jahren zu eskalieren – auch in der Pfalz. Doch die Not und die Erschöpfung der Bevölkerung erzwangen im September des Jahres den Abbruch des passiven Widerstands.
Es gab einen Flecken, der sorgte allerdings schon vorher für besondere Probleme, denn er lag zwar linksrheinisch, gehörte aber zu einer rechtsrheinischen Gemeinde – die Brühler Kollerinsel. Für die französische Administration war es allerdings kein wirkliches Problem: Dieser Landstrich lag auf ihrer Seite des Rheins, sie war damit auch Besatzungsgebiet – „et c’est la fin!“.
Ortsgeschichte Brühl: Zahlreiche Äcker „beim Franzos“
„Vor 100 Jahren war Brühl damit nicht nur eine Grenzlandgemeinde – eine internationale Grenze zog sich mitten durch die die Gemarkung“, fasst der Vorsitzende des Brühler Heimatvereins Dr. Volker Kronemayer die damalige Situation zusammen. „Derjenige, der von Brühl auf die Brühler Kollerinsel wollte, benötigte dazu einen besonderen Ausweis“, berichtet der Historiker und legt im Gespräch mit unserer Zeitung ein solches Dokument auch gleich vor.
Im Oktober 1919 hatte diesen Pass der Landwirt Christoph Mündel erhalten. Dieser Ausweis für den „Verkehr der Grenzbewohner“ von der französischen Militärbehörde ausgestellt, erlaubte ihm den sogenannten kleinen Grenzverkehr, um den Rhein zu überqueren und seine Felder auf der „l’Isle Koller“ im französischen Besatzungsgebiet zu bestellen. Jedes Mal, wenn er mit der Kollerfähre in die eine oder andere Richtung fuhr, hatte er dieses Papier den Grenzbeamten vorzulegen.
Ortsgeschichte Brühl: Der Umgang wird rauer
Und Mündel war nicht der einzige Brühler, der diese Formalitäten immer wieder zu erfüllen hatte, fand der Heimatverein bei seiner Recherche zum Thema heraus. Zahlreiche der zur Zeit des Ruhrkampfs 3400 Einwohner der Hufeisengemeinde hatten „auf der Koller Felder bewirtschaftetet“. 1917 hatte die Firma Heinrich Lanz nämlich 76 Hektar Land im linksrheinischen Rheingewann und Saumagen zum Anbau von Kartoffeln und Getreide für seine Mitarbeiter erhalten.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war das Gelände an die Gemeinde Brühl übertragen worden, die dann diese Felder weiter verpachtete. „Zu den neuen Pächtern zählte 75 Prozent Arbeiter und ,kleine Leute’, die noch nie Landwirtschaft betrieben hatten, die Ernte aber zur Eigenversorgung dringend benötigten“, blickt Kronemayer auf diese nicht einfache Zeit vor 100 Jahren zurück.
Im Jahr 1923 verschärften die Rheinlandbesetzung und der daraus entstehende Ruhrkampf die eigentümliche Grenzsituation auch zwischen Brühl und der Kollerinsel noch einmal deutlich. Kronemayer zitiert dazu den aus Brühl stammende Landtagsabgeordnete Heinrich Brixner, der 1925 in der Zweiten Kammer des Badischen Landtages rückblickend feststellte: „Auch das Jahr 1923 hat uns bei der Rheinbesetzung auf der Kollerinsel sehr gefährdet, wir haben sehr schwer zu leiden gehabt. Wir haben die Frühjahrsbestellung machen dürfen, aber als wir an die Ernte gehen wollten, waren die Besatzungstruppen da und wir konnten nicht mehr die Koller bekommen.“ Doch Brixner erinnert sich, dass „es ist nach zehntägiger schwerer, ununterbrochener Arbeit gelungen ist, daß wir die Kartoffel und das Getreide frei bekommen konnten, ohne etwas zu bezahlen. Natürlicherweise mußten wir die schärfste Kontrolle aushalten, es wurde alles auf das Schärfste kontrolliert.“
Ortsgeschichte Brühl: Beschuss durch Wachmannschaft
Das Verhalten der Wachmannschaften führte damals noch zu anderen Problemen mit der Besatzungsmacht auf der Kollerinsel. So beschwerte sich der damalige Bürgermeister Carl Pister im Mai 1923 beim französischen Kommandeur darüber dass seine Soldaten „eine ganze Anzahl von Schüssen abgaben, sodaß die Geschoße größtenteils auf den Straßen des Ortsteils Rohrhof einschlugen. Ein Mann, der die Straße Brühl – Rohrhof passierte, war in größter Lebensgefahr.“ Die „Karlsruhe Zeitung“ und die „Mannheimer Volksstimme“ berichteten ebenfalls über diesen Vorfall. Über Konsequenzen für die Schützen ist allerdings nichts bekannt.
Ortsgeschichte Brühl: Eine Ende kommt 1930
Vor 100 Jahren hatte sich die Situation also zugespitzt – die Kontrollen am Brühler Rheinübergang wurden schärfer. Das änderte sich auch kaum, als Trupps bewaffneter Separatisten mit der Unterstützung französischer Militäreinheiten die öffentlichen Gebäude der größeren pfälzischen Ortschaften besetzten. So fiel ihnen im November 1923 auch das Speyerer Regierungsgebäude in die Hand. Zwei Tage später etablierte sich dort eine „Regierung der Autonomen Pfalz“. Im Juni 1925 waren noch immer etwa 13 500 französische Soldaten dort stationiert. Erst im Juni 1930 räumten die französischen Truppen endgültig diesen Landstrich – die Brühler durften wieder unkontrolliert mit der Fähre auf die nunmehr deutsche Kollerinsel fahren.
Allerdings sollte sich die Geschichte wiederholen. Nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten die Franzosen das linksrheinische Ufer ihrer alliierten Zone erneut. Und wieder war man sich in Paris nicht einig, in welche Zone die Kollerinsel nach 1945 fallen sollte. Um keinen Ärger mit den Amerikanern zu provozieren, entschied man sich auf französischer Seite, lieber die Finger von der Kollerinsel zu lassen.
Die Amerikaner andererseits schienen für das linksrheinische Gebiet kein Interesse zu zeigen. Daher war die Brühler Kollerinsel von Soldaten kaum bewacht und nach dem Krieg für viele Wehrmachtsangehörige, die aus Frankreich nach Hause flohen, eine gute Möglichkeit, unbemerkt den Rhein zu überqueren, wie sich Zeitzeugen noch erinnern.
Hintergrund: Die Ruhrbesetzung wirkt sich bis in die Pfalz aus
- Eine schwere Bewährungsprobe erwartete die junge Weimarer Republik vor 100 Jahren.
- Die alliierte Reparationskommission stellte Ende Dezember 1922 einen Lieferrückstand deutscher Reparationen an Frankreich fest. Das bot im Januar 1923 den Vorwand für den Einmarsch ins Ruhrgebiet.
- In Deutschland löste der Einmarsch einen parteiübergreifenden Sturm der Entrüstung aus.
- Im November 1923 etablierte sich zudem eine „Regierung der Autonomen Pfalz“ unter dem ehemaligen Bauernfunktionär Franz-Josef Heinz.
- Edgar Julius Jung und Mitverschwörer erschossen Heinz und zwei seiner Minister im Januar 1924 beim Abendessen im „Wittelsbacher Hof“ in Speyer.
- Deutschlands Wirtschaft lag in Scherben, der Staat war pleite. Um dennoch seine Schulden bezahlen zu können, wurde ständig mehr Geld gedruckt. Die Inflation im Herbst 1923 war eine Spätfolge des Ersten Weltkriegs.
- Der Young-Plan regelte ab 1924 die deutschen Reparationszahlungen neu. Der Weg für eine freie Pfalz ab 1930 war geebnet.
- Im Juni 1930 räumten die französischen Truppen die Pfalz.
- 1945 übernahm Frankreich das Gebiet der heutigen Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland erneut als Besatzungszone. ras
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/bruehl_artikel,-bruehl-ortsgeschichte-bruehl-als-eine-staatsgrenze-die-gemeinde-teilte-_arid,2040924.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/bruehl.html