Heimatgeschichte - Leserin Elfriede Lorbeer erkennt in dem bislang unbekannten Spargelmädchen der Bleistiftzeichnung von Bernhard Karl Becker eine frühere Nachbarin

Spargelmädchen: „Ich bin überzeugt: Das ist Elis Walter“

Von 
Ralf Strauch
Lesedauer: 
© vfbhp

Brühl. Es war ein Fundstück aus dem Jahr 1968, das unser Redakteur Andreas Lin beim Umzug aus den früheren in die jetzigen Redaktionsräume entdeckte. Ein Schreiben an die Redaktion samt eines kleinen Gemäldes – beides aus der Feder beziehungsweise dem Stift von Bernhard Karl Becker, einem der bekanntesten Künstler Schwetzingens, geboren 1899 in Pforzheim, gestorben 1991 in Schwetzingen.

Nahezu zeitgleich zur Idee für die neue Serie „Fundstücke“ war zudem Martin Keßler in der Redaktion erschienen. „Der bekannte Schwetzinger ist nicht nur Musiker, Instrumentenbauer, Ex-Kerweborscht und örtliches Original, sondern auch der Sohn von Becker“, berichtete Lin im Oktober 2020. Dabei hatte Keßler damals eine Bleistiftzeichnung seines Vaters mit einem Spargelmädchen. „Wer dieses Mädchen ist, wisse niemand, erzählte Keßler“, erinnert sich Lin in seinem damaligen Bericht.

„Ich bin überzeugt, dass dieses Mädchen die Elis Walter ist“, erklärt nun unsere Leserin Elfriede Lorbeer aus Rohrhof mit dem Brustton der Überzeugung und fügt noch hinzu: „Zu fast 100 Prozent!“ Und die 82-Jährige muss es eigentlich wissen, denn sie hat als Kind bei Elis Walter in der Saison immer den Spargel für die Familie gekauft – die Seniorin ist eine geborene Meixner.

Der Kreis schließt sich

Der Groschen sei bei ihr gefallen, als sie den Nachlass ihres Bruders ordnete. Der hatte nämlich in seinem Keller noch Dokumente, Briefe und Bilder des Vaters gelagert. Und dabei seien ihr auch Bilder von Elis Walter als Fundstücke in die Hand geraten. Kurzentschlossen wandte sie sich an den Vorsitzenden des Heimatvereins, Dr. Volker Kronemayer, der wiederum den Kontakt zu unserer Zeitung herstellte. Und damit schloss sich ein Kreis.

Für Elfriede Lorbeer steht fest, dass das Spargelmädchen „Elise“ die bekannte Brühlerin ist. © sz

Aber, Moment: Elis Walter? Die ist in Brühl ja auch keine Unbekannte. Sie hatte am 18. Dezember 1916 als erste Frau in Baden erfolgreich ihre Führerscheinprüfung als Lastwagenfahrerin abgelegt. Da hatte sogar die ausstellende Behörde noch ein Problem, denn dem „amtlich anerkannten Sachverständigen“ der Polizeidirektion im großherzoglich-badischen Bezirksamt lag im Grunde kein entsprechender Führerscheinvordruck vor, den er hätte ausstellen können.

Premiere im Großherzogtum

Kurzentschlossen musste er eigenhändig Änderungen vornehmen. Entsprechend wurde das vorgedruckte „Herr“ im Führerschein durchgestrichen, um handschriftlich durch den Zusatz „Fräulein“ ergänzt zu werden. Damals hieß Elis Walter noch Oberle, ihr Vorname wurde mit Frieda abgekürzt, und sie war eine geborene Fillinger.

Die damals 19-Jährige war schon seit fünf Jahren Betriebsangehörige der Rheinischen Gummi- und Celuloid-Fabrik und der Lastkraftwagen, den sie zu kutschieren lernte, war gewissermaßen der Grundstock des Kraftfahrparks der späteren Firma Schildkröt in Neckarau. Zu dieser Zeit drängten immer mehr Frauen in sogenannte Männerberufe, denn der Krieg forderte seinen Tribut.

Die junge Chauffeuse, die nach und nach resoluter wurde, erarbeitete sich den Respekt auch von männlichen Wagenlenkern. 1920 heiratete sie August Walter aus Otterstadt, mit dem sie drei Töchter hatte.

Ihren Führerschein für Lastwagen hat sie zum letzten Mal in den Jahren des Zweiten Weltkrieges benutzt. Auch, um als „Mutter Courage“ die Menschen in ihrer Nachbarschaft mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen.

Als Kind machte sie das nicht mit dem Lastwagen, sie brachte die Spargel damals noch mit der „Feldscheese“, also dem Handwagen, nach Schwetzingen. Wenn es weniger war, dann trug sie die Stangen – wie auf dem Bild – im Korb in die Nachbarstadt. „Ihre Familie hatte damals ein Spargelfeld auf Schwetzinger Gemarkung – da, wo heute die Umgehungsstraße L 599 und die Straße von der Villa Meixner nach Schwetzingen aufeinandertreffen“, erinnert sich Lorbeer.

Extrastangen für die Suppe

Als Kind mochte es die heutige Seniorin sehr, bei Elis in der in der Wilhelmstraße 5, also quasi in der direkten Nachbarschaft zu ihrem Elternhaus, den Spargel zu kaufen – nachdem die gewünschte Menge abgewogen war, griff die Verkäuferin immer wieder nach hinten in den Korb mit den dünnen Stangen, „bestell deiner Mutter, dass sie daraus eine gute Suppe für euch kochen soll“, sagte Elise dann mit einem Lächeln. Und oft erzählte ihr Elis auch von früheren Zeiten, als sie als Spargelmädchen nach Schwetzingen gegangen war, um das königliche Gemüse zur Sammelstelle zu bringen. Für Lorbeer passt das alles – auch die Physiognomie des Mädchens auf der Zeichnung und der Frau auf den uralten Fotos.

Und Elise ist auch genau der Name, der von Bernhard Karl Becker auf der Bleistiftzeichnung von 1968 verzeichnet worden ist, „die Elis halt“.

Redaktion

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung