Brauchtum - Seit 1985 wird alljährlich ein Repräsentant für die Straßenkerwe gekürt / Geheimniskrämerei bis zum Festsamstag / Jeder füllt das Amt individuell mit Leben

Traditionspflege schont den Garten nicht

Von 
Ralf Strauch
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Das Kerwebrautpaar (v. l.) Ekkhart Güttler und Michael Luksch verkörperten über viele Jahre die Eleganz beim Traditionsfest. Auf diesem Bild graben sie beim sicherlich badischsten Owwerkerweborscht, dem evangelischen Pfarrer Oskar Ackermann (Mitte) die Kerwe aus. Ackermann tauschte den Zylinder gegen den Heckerhut aus. Der damalige Bürgermeister Günther Reffert (r.) war einst der erste in der Reihe der Brauchtumswürdenträger. © Heimatverein

Brühl. Für die einen ist es ein tolles Straßenfest, für die anderen darüber hinaus noch ein gutes Stück gelebte Brauchtumspflege: die Kerwe im Herzen von Brühl. Die Festtage können schon auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken und verbanden einst die Kirchweihe mit dem Erntedankfest. In der Kaiserzeit feierten die Brühler ihre Kerwe, wie heute auch, bereits drei Tage lang. Das Haus wurde geschmückt, die Menschen zogen ihren Sonntagsstaat an und es wurde mit viel Engagement in der Küche geschafft, denn zur Kerwe stand in jedem Haus viel Besuch an.

Die Kerwe fand ihren Niederschlag aber auch in den Vereinen und Gasthäusern des Ortes. In ihnen fanden sich die jungen Männer als Kerweborscht zusammen, um es ordentlich krachen zu lassen. Natürlich sollte auch auf die Einhaltung der guten Sitten geachtet werden. Dafür hatten die Borscht immer ihre Anstandsdame dabei, die Schlumpel. Diese Strohpuppe wachte von erhöhter Warte über das fröhliche Treiben. Und damit man auch einen passenden Grund für das muntere Gelage vorweisen konnte, wurde ein Kerwebrautpaar – zumeist dargestellt von zwei Männern – verehelicht. Natürlich vom Kerwepfarrer, einem weiteren Borscht der dieses Amt übernahm und auch später die Beerdigung der Kerwe zelebrierte.

Die lebenslustige Brauchtumspflege endete mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs abrupt. Und als die Männer von den Fronten zurückkehrten, hatte sich die Gesellschaft verändert. Die Kerwe wurde zwar noch mit gegenseitigen Besuchen begangen, ältere Brühler erinnern sich auch noch an den Rummel zur Kerwe, doch die große Festivität verblasste immer mehr.

Das sollte sich 1985 ändern. Damals rief der engagierte Tausendsassa Werner Fuchs die Truppe der Kerweborscht zusammen. Gemeinsam mit ihnen und den Geschäftsleuten des Ortes wurde die erste Brühler Straßenkerwe als Volksfest ins Leben gerufen. Und weil Fuchs über Jahrzehnte die treibende Kraft des Festes war, wurde ihm später der Ehrentitel „Kerwebiergameschda“ verliehen.

Und da sind wir bei den Ehrentiteln – sie spielen bei der Kerwe eine herausragende Rolle. Denn die Kerweborscht küren alljährlich einen Repräsentanten des Traditionsfestes, den Owwerkerweborscht. Seit 1985 der damalige Bürgermeister Günther Reffert dafür auserkoren wurde, fanden sich immer wieder Männer aus der Gemeinde, die dieses Amt auf ihre Weise prägten. Einzige Ausnahme war die Pfarrerin Almut Hundhausen-Hübsch, die als erste Kerweregentin 2017 Geschichte schrieb.

Edel mit Frack und Zylinder

Den edlen Zwirn – Frack und Zylinder – führte Ehrenowwerkerweborscht Erich Rey ein, der als „Hesters von Brühl“ erstmals dem Amt besondere Würde verlieh. Der älteste Owwerkerweborscht aller Zeiten war Albert Fichtner in den Jahren 2014 und 2015. Er füllte sein Amt derart mit Herzblut, dass ihm vor zwei Jahren der Titel Ehrenowwerkerweborscht auf Lebenszeit verliehen wurde. Ihm folgte 2016 mit Stefan Röger der jüngste Würdenträger in der Reihe. Und er war es auch, der wieder von der Kleiderordnung abwich, Lederhose und kariertes Hemd trug.

Auch für dieses Jahr haben die Borscht einen würdigen Mann gefunden, in dessen Garten am Festsamstag, 5. Oktober, die symbolische Kerwe ausgebuddelt wird. Diese Aufgabe übernimmt das Brautpaar sicher wieder mit viel Schwung und weniger Rücksicht aufs Botanische. Unterstützt werden sie bei der Suche traditionell von Kindern der örtlichen Betreuungseinrichtungen, also den Kindergärten, Grundschulen und Horten. Die Schatzkiste mit Kuchen und Wein haben die Kerweborscht einige Stunden zuvor in einer heimlichen Aktion verbuddelt.

Und obwohl der neue Würdenträger bereits edel gewandet sein wird, eine Stärkung für alle Beteiligten im Garten bereitsteht und das Anwesen in Brühler Farben geschmückt wird, zeigt er sich stets „vollkommen überrascht“, wenn die Festgemeinschaft plötzlich vor der Tür steht – gelebtes Brauchtum.

Info: Ein Video zur Kerwe gibt es unter www.schwetzinger-zeitung.de

Das Ausbuddeln der Kerwe

Noch ist geheim, wer der neue Owwerkerweborscht wird.

Bis zum Festsamstag hüllt sich die muntere Truppe der Kerweborscht über dessen Identität in Schweigen.

Am Samstag, 5. Oktober, ist das Ausgraben der Kerwe beim neuen Owwerkerweborscht mit Einschießen der Kerwe.

Dazu treffen sich die Kerweborscht um 13 Uhr mit den den Kindern, den „Buffalo’s“, den SG-Salutschützen und der Freiwillige Feuerwehr beim Gerätehaus der Wehr.

Im Anschluss ist der Kerweumzug durch die Straßen des Ortes.

Um 15 Uhr ist die offizielle Eröffnung des Festes durch Bürgermeister Dr. Ralf Göck und die Vorstellung des Owwerkerweborscht auf der Bühne.

Die Bevölkerung ist zu diesen Programmpunkten eingeladen. ras

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