Rückschau

Die Hockenheimer Demenz-WG war Ulrich Beers wichtigstes Projekt

Der fast 31 Jahre amtierende Geschäftsführer der kirchlichen Sozialstation im Hockenheim blickt vor seiner Verabschiedung auf seine Dienstzeit zurück.

Von 
Matthias Mühleisen
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Bei Ulrich Beer (M.) und Micha Böbel (l.) spielt die Musik der Kirchlichen Sozialstation Hockenheim - sowohl in der täglichen Arbeit als auch beim Mitarbeiterfest, das die beiden musikalisch bereichern. © Wolfgang Gans

Hockenheim. „Weine nicht, dass es vorbei ist, sondern lächle, weil es schön war“ – mit dieser Einstellung kommt Ulrich Beer am Sonntag in die evangelische Kirche. Vorbei ist dann auch offiziell seine fast 31 Jahre währende Tätigkeit als Geschäftsführer der Kirchlichen Sozialstation. Wenige Tage vorm Eintritt in den Ruhestand blickt Beer im Gespräch mit unserer Zeitung zurück auf diese Zeit und die Veränderungen, durch die er mit „seiner“ Sozialstation gegangen ist. Sein Fazit: „Es gab eigentlich nie ein Jahr, das ruhig verlief.“

Was Ulrich Beer in all den Jahren treu begleitete, war das Wachstum. Sowohl die Mitarbeiterzahl als auch die der Patienten hat sich kontinuierlich nach oben entwickelt. Und damit wurde auch der Platzbedarf immer größer, was das Team der Sozialstation immer wieder zu Wechseln bewegte. Die größte Zunahme verzeichnet er aber bei einer „Krankheit“, die keine Fachkraft der Sozialstation lindern vermag: die Bürokratie. „Es wird immer schlimmer. Jeder spricht nur von Bürokratieabbau – und das Gegenteil passiert.“

Nicht nur professionelle, sondern auch private Einblicke in WG-Arbeit

Bei all der Vielzahl von Veränderungen, die die Arbeit der Sozialstation im Laufe dieser mehr als drei Jahrzehnte erlebte, bei all den Errungenschaften, die sie für ihr Klientel erreichte, wagt Ulrich Beer doch zu entscheiden, was das Beste in diesem Zeitraum war: die Demenz WG. Der Geschäftsführer hat in dieser Hinsicht besondere Einblicke, nicht nur in professioneller, sondern auch in privater Hinsicht.

Der Einzug der Kirchlichen Sozialstation ins Liliane-Juchli-Haus war für die Sozialstation mit Geschäftsführer Ulrich Beer und Vorsitzende Ingrid Stalter (hier 2009) ein Meilenstein. © Norbert Lenhardt

Zwei Jahre nach Eröffnung der ersten Wohngemeinschaft ist sein an Demenz erkrankter Schwiegervater eingezogen. Da habe ich die Wirkung, die diese WGs auf die Menschen haben, als Angehöriger erfahren dürfen: Mein Schwiegervater ist aufgelebt, er hat besser zur Ruhe gefunden.“ Das habe einmal mehr bewiesen, dass die Anstrengungen, die Sozialstationen bei der langwierigen Vorbereitung unternommen hatte, gerechtfertigt waren.

„Das ging nur im Zusammenspiel aller Beteiligten“

Beer ist noch immer stolz auf die Pionierarbeit, die die Hockenheimer in dieser Hinsicht geleistet haben. „Das ging aber nur im Zusammenspiel aller Beteiligten“, unterstreicht er. Bei der Einführung der Demenz-Wohngemeinschaft habe sich sein Verständnis von seiner Tätigkeit besonders deutlich manifestiert. „Ich sage immer, wir sitzen hier in einem Boot und jeder muss an seinem Platz rudern. Wenn sich das Schiff dann in die richtige Richtung bewegt, dann hat man alles richtig gemacht.“

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Bestätigung gibt ihm auch die Tatsache, dass es in beiden Demenz-WGs kaum Leerstand gibt, weil die Nachfrage groß ist. Ulrich Beer führt das auf das familienähnliche Miteinander zurück, das anders ankommt als bei einer stationären Unterbringung, obwohl auch dort auf die Bedürfnisse Demenzerkrankter eingegangen werde.

Der Anstoß zu den WG-Überlegungen kam aus Altlußheim

Den Anstoß zu den WG-Überlegungen hatte ein älterer Herr aus Altlußheim gegeben, der ein größeres Grundstück hatte und dieses für eine Betreuungseinrichtung zur Verfügung stellen wollte. Weil der Sozialstation in dieser Hinsicht Erfahrungen komplett fehlten, baten die Verantwortlichen einen Fachmann des Diakonischen Werks Baden hinzu. Mit dem war man sich zwar einig, dass das Gelände in Altlußheim nicht für die Sozialstation geeignet war, doch der Fachmann wies auf die neue Entwicklung im Umgang mit Demenzerkrankten hin – und das Interesse war geweckt.

Den Umzug in die eigenen Räumlichkeiten im Liliane-Juchli-Haus war ein wichtiges Projekt für Geschäftsführer Ulrich Beer, der viele Ortswechsel begleitet und geleitet hat. © Gerald Schilling.

Sehr viel Zeit in die Beschäftigung mit dem neuen Thema habe die damalige Vorsitzende der Sozialstation Ingrid Stalter investiert, gemeinsam mit Beer und Micha Böbel trug sie das Wissen zusammen, das erforderlich war, um das Projekt konkret angehen zu können, unterstützt von Beate Bikowski. Das kleine Team besichtigte WGs in Freiburg, München und Brandenburg, beleuchtete das Thema von allen Seiten. Eine wichtige Voraussetzung war die parallele Gründung des Vereins Vita vitalis, da zur damaligen Zeit für die WG Betreuung, Pflege und Wohnraum nicht aus einer Hand kommen dürfte, wollte man nicht unter die zahlreichen Auflagen und Voraussetzungen des Heimgesetzes wie stationäre Einrichtungen fallen, etwa eine Dauernachtwache mit einer Pflegefachkraft, was die Sozialstation auch finanziell nicht hätte stemmen können, blickt der langjährige Geschäftsführer zurück.

Nur durch viel privates Engagement umsetzbar

Ulrich Beer erinnert sich noch gut an den Gegenwind, dem sich das Projekt entgegenstemmen musste. Dass ein frisch gegründeter Verein ohne große finanzielle Grundlage ein solches Vorhaben umsetzen könne, habe damals manch ein Hockenheimer Fachmann nicht geglaubt und abgeraten. „Es war schon alles auf Kante genäht, aber no risk, no fun“, sagt er mit einem Lächeln rückschauend. „Hätten wir es nicht gewagt, wäre es auch nicht zum Erfolg gekommen.“ Nicht zu vergessen sei, dass viele Privatpersonen Vita vitalis um den damaligen Vorsitzenden Kurt Engelberth Darlehen gegeben haben. Die Kooperation besteht heute noch, für die zweite WG im Nachbargebäude hat die Sozialstation dank geänderter Rahmenbedingungen und einer großzügigen Spende des Deutschen Hilfswerks selbst die Räume finanziert.

Wenn der langjährige Geschäftsführer am Sonntag um 17 Uhr in einem ökumenischen Gottesdienst in der evangelische Stadtkirche Hockenheim gewürdigt und verabschiedet und seine Nachfolgerin Melanie Schäfer begrüßt und für ihre kommenden Aufgaben gesegnet wird, spielt die Demenz-WG, aber auch das Juchli-Haus und die Vorgänger-Domizile der Sozialstation sicher eine große Rolle..

So bekommt man Ulrich Beer nicht oft zu Gesicht: Beim Diakoniefest 2022 in Neulußheim wirkt er als Elia mit (die Haare sind nicht echt). © Esther Kraus

Redaktion Redakteur im Bereich Hockenheim und Umland sowie Speyer

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