Wirtschaft - Abriss der zwei Waghäuseler Zuckersilos hat begonnen / Ende kommt 50 Jahre nach der Errichtung / Einst größtes Industrieunternehmen im Großherzogtum

Die nächsten „Zwillinge“ verschwinden

Von 
Werner Schmidhuber
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Waghäusel. Die Philippsburger „Zwillinge“ am Kernkraftwerk sind verschwunden, jetzt werden die zwei Waghäuseler Zuckersilos plattgemacht. Eine spektakuläre Sprengung wie bei den Kühltürmen in der Nachbarschaft ist nicht vorgesehen, lediglich ein konventioneller Abriss – und das zum 50. „Geburtstag“ der weithin sichtbaren Kolosse. Seit Anfang Mai sind die Arbeiten im Gange.

Derzeit werden Putz und Dämmung entfernt. Vor einem halben Jahrhundert hat der Baukonzern Philipp Holzmann die Türme aus Stahlbeton errichtet. Von einem „historischen Ensemble“ oder von einem „Waghäuseler Denkmal“ kann daher – zumindest altersmäßig – keine Rede sein.

Ganz im Gegensatz zum nahen Schlösschen mitsamt den drei übriggebliebenen Kavaliershäusern, das von der neuzeitlichen Errungenschaft fast erdrückt wird. Die Eremitage in Waghäusel hat Fürstbischof Damian Hugo Philipp von Schönborn 1724 als barockes Jagd- und Lustschloss errichten lassen.

Ob und inwieweit Schloss und Silos mit den 250 Jahren Zeitunterschied harmonieren, ist sicherlich Geschmackssache. Mehr oder weniger romantische Vorschläge zur Verwendung der ausrangierten „Zwillinge“, auch von allerlei Künstlern, gab es bis zuletzt – von Hotel bis Aussichtsturm. Doch keinen betuchten Investor, der Geld in die alten Zu-ckertürme stecken wollte . . .

Ab 1967: Ausbau statt Stilllegung

1967 tauchten die ersten konkreten Überlegungen zum Bau der zwei Silos auf. Von 1967 bis 1971 wurde die damals von einer Stilllegung bedrohte Zuckerfabrik ein weiteres Mal modernisiert. Über vier Jahre erstreckten sich die Umbau- und Neubaumaßnahmen auf dem Gelände. 1968/69 verschwanden einige Fabrikgebäude, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammten. Der offizielle Bauantrag für die Zuckersilos da-tiert von 1968.

Was nur wenige Menschen wissen: Die zwei Silos sind eigentlich vier Silos. Jedes Bauwerk mit 34,5 Meter Durchmesser hat innen noch ein zweites Silo mit 21 Meter Durchmesser. Das war für die Stabilität und die Dachdecke notwendig.

Recht unerwartet und überraschend für die Stadt Waghäusel hatte im Juli 1994 der Aufsichtsrat der Südzucker AG beschlossen, die Fabrik mit dem Ende der Kampagne 1995 stillzulegen. Nach 158 Jahren Produktion wurden die Maschinen abgestellt und die Tore der Zuckerfabrik für immer geschlossen.

Nach längeren, zähen Verhandlungen kaufte die Stadt Waghäusel 1997 das 41 Hektar große Areal mit allen Gebäuden – und damit auch die Eremitage, das Schlösschen mit den Kavaliershäusern, zum symbolischen Preis von einer Deutschen Mark. Dafür musste sie sämtliche Altlasten und anfallenden Sanierungen übernehmen.

Bei der Kommunalwahl 2009 kam erstmals die Forderung nach einem Abriss der beiden Kolosse auf, um damit auch rund 11 000 Quadratmeter neue Gewerbefläche nutzbar zu machen. Seitdem beherrschte das Thema die politische Diskussion.

Dass es nach langwierigem Hin und Her jetzt zum Aus kommt, reklamieren mehrere Fraktionen für sich. Doch so richtig Druck machte in den Anfangsjahren keine, alle begnügten sich 2013 mit einer „Prüfung“. Mehrere Initiativen liefen ins Leere. Als „Einzelkämpfer“ sammelte Stadtrat Roland Liebl im Januar 2015 die notwendigen Unterschriften für einen fraktionsübergreifenden Antrag.

Dieser fand letztlich eine Mehrheit im Gremium. Doch wenige Tage später ließ zur großen Überraschung das Rathaus wissen, eine Vertragssituation sei übersehen worden. Auf dem 52 Meter hohen Elevator der Silos befinden sich Antennen von Mobilfunkanbietern mit einer Vertragsdauer bis Ende 2022. Die Verzögerung endete zum 31. Dezember 2019, als beide Funkunternehmen freiwillig ihren Standort aufgaben.

Was waren die Anfänge? Im Großherzogtum Baden wurde 1836 Carl Sebastian Schuzenbach gestattet, sein Verfahren zur Zuckergewinnung in einer Fabrik einzusetzen. Ein Jahr später kaufte die neu gegründete „Badische Gesellschaft für Zuckerfabrikation“ die rund 13 Hektar große Schlossanlage vom badischen Staat und errichtete hier das regional bedeutsame Werk, das den Namen Waghäusel bekannt machte. In die deutsche Geschichte eingegangen ist die Entscheidungsschlacht der Badischen Revolution von 1849 vor und hinter den Fabrikmauern.

Arbeit für über 1000 Menschen

In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich die Produktionsstätte zum größten Industrieunternehmen im Großherzogtum Baden. 1914 ist die Rede von der „modernsten Zuckerfabrik“ Deutschlands. Zeitweise verdienten dort mehr als 1000 Arbeiter ihren Lebensunterhalt, zuletzt arbeiteten dort 95. Schon lange vor der Schließung 1995 war Waghäusel ein gefährdeter „weicher“ Standort. Die deutsche Wiedervereinigung 1989 beschleunigte mit der Übernahme von 14 Zuckerfabriken im Osten den Prozess der Produktionsaufgabe.

Nach aktuellem Stand soll der Abriss 1,2 Millionen Euro kosten. „Ohne die Beseitigung wären eine Reduzierung der Fördersumme und eine Zurückzahlung von bereits ausgezahlten Fördergeldern fällig geworden“, bemerkt Stadtrat Roland Liebl. „Denn der Abbruch der Silos gehörte zum eingereichten Förderantrag. Es ist billiger, sie abzureißen als sie stehenzulassen.“ Sieben Monate sind für die Arbeiten geplant.

Bei einer Ausstellung des Heimatvereins zur Erinnerung an die Schließung der Zuckerfabrik 1995 betonte Oberbürgermeister Walter Heiler, dass die Stadt bislang rund 21 Millionen Euro für das überlassene Südzuckergelände ausgegeben habe. Vier weitere stehen noch an, so dass sich eine Gesamtausgabe von rund 25 Millionen ergibt. Die Fördermittel machen etwa 50 Prozent aus.

Info: Weitere Bilder der Fabrik unter www.schwetzinger-zeitung.de

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Waghäusel: Erinnerungen an die Zuckerfabrik

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