Hockenheim. Dieser Gerichtsprozess wird viel Aufsehen erregen – auch im Ausland. Vorausgesetzt, das Mannheimer Landgericht lässt die Anklageschrift zu, werden insbesondere ukrainische Medien verfolgen, was mit dem deutschen Ehepaar passiert, dem vorgeworfen wird, die jeweils vor dem Krieg geflüchtete ukrainische Mutter und die ukrainische Großmutter eines wenige Monate alten Mädchens ermordet zu haben, um den Säugling danach als ihre eigene Tochter ausgeben zu können. Am Dienstag hat die Staatsanwaltschaft bisher unbekannte Details zum Tathergang mitgeteilt, die die Anklage stützen. Einiges ist bereits bekannt geworden seit dem 6. März dieses Jahres, aber die von den Strafverfolgern ermittelte Akribie in der Planung und die Brutalität in der Vorgehensweise wird mit der nun vorliegenden Anklageerhebung nochmals deutlicher.
So schreibt die Staatsanwaltschaft in einigermaßen verständlichem Juristen-Deutsch: „In Umsetzung des Tatplans soll das Ehepaar am Abend des 6. März der 27-Jährigen und ihrer 51-jährigen Mutter im Rahmen eines Restaurantbesuchs zunächst heimlich sedierende Medikamente verabreicht haben. Als es daraufhin bei der 51-jährigen Geschädigten zu Unwohlsein und Bluthochdruck gekommen sei, soll das Ehepaar die 27-jährige Geschädigte unter dem Vorwand, ihre Mutter in ein Krankenhaus zu bringen, zunächst mit ihrer Tochter nach Hause gefahren haben und anschließend mit der 51-jährigen Geschädigten, die aufgrund der Wirkung der Medikamente jedenfalls an starken Bewusstseinsstörungen litt, nach Bad Schönborn zu einem Anglersee gefahren sein.
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Dort soll der 43-jährige Mann mindestens vier Mal mit einem unbekannten Gegenstand auf den Schädel der Geschädigten eingeschlagen und sie anschließend in den dortigen Anglersee verbracht haben. Die 51-jährige Geschädigte verstarb kurze Zeit später aufgrund der erlittenen Kopfverletzungen.“
Schädel-Hirn-Trauma führte zum Tod der jungen Mutter
Was nach ihren Ermittlungen anschließend geschehen ist, beschreibt die Staatsanwaltschaft in den Zeilen, die sich anschließen: Das Ehepaar soll demnach zu der 27-jährigen Tochter zurückgekehrt sein. Unter dem Vorwand, dass die inzwischen de facto verstorbene Mutter einen Herzinfarkt erlitten habe und nun im Krankenhaus sei, sollen die beiden die junge Mutter mitsamt dem Säugling abgeholt haben, um mit ihnen dann aber an den Hockenheimer Rheindamm zu fahren. Gegenüber dem Speyerer Rheinufer soll sich in den folgenden Minuten der zweite Mord abgespielt haben. Der 43-jährige Mann soll mindestens dreimal mit einem unbekannten Gegenstand auf den Kopf der 27-Jährigen eingeschlagen haben. Nach Erkenntnissen der Ermittler starb die junge Mutter, die starke Bewusstseinsstörungen infolge der sedierenden Medikamente gehabt haben soll, an einem massiven Schädel-Hirn-Trauma. Um ihre Tat zu verschleiern, soll das Ehepaar die Leiche der Frau angezündet haben und mit deren kleiner Tochter nach Hause zurückgekehrt sein.
Der formaljuristische Vorwurf der Mannheimer Staatsanwaltschaft gegenüber dem Ehepaar, das nach Informationen dieser Redaktion bereits drei Kinder hat und in Sandhausen lebte, heißt: „Verdacht des gemeinschaftlichen Mordes in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger.“
Kontakt zum Opfer entstand durch eine Telegram-Gruppe
Wie die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, habe bei dem Ehepaar bereits seit Längerem ein unerfüllter Wunsch nach einer gemeinsamen Tochter bestanden. Spätestens im März 2023 hätten sich die beiden damit befasst, einen weiblichen Säugling zu entführen. Um die Chancen auf die Entführung eines Kindes zu erhöhen, soll die 44-Jährige einer Telegram-Gruppe zur Unterstützung ukrainischer Geflüchteter beigetreten sein. Dass die 44-jährige Verdächtige russische Wurzeln hat, wollte die Staatsanwaltschaft nicht bestätigen. Sie dementierte es aber auch nicht. Die 27-jährige werdende Mutter habe in der Telegram-Gruppe lediglich nach einer Übersetzerin angesichts der in Deutschland bevorstehenden Geburt ihrer Tochter gesucht. Nun ist sie tot.
Wie bereits mehrfach berichtet, entdeckte am 7. März ein Passant ihre Leiche am Rheinufer. Am 13. März nahm die Polizei das Paar fest, bei dem die Ermittler das Baby unversehrt fanden. Am 19. März fanden Polizeitaucher die Leiche der Großmutter in dem See. Das Ehepaar befindet sich laut Staatsanwaltschaft weiter in Untersuchungshaft. Es hat sich demnach bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Das mittlerweile rund sieben Monate alte Baby lebte anschließend mehrere Monate bei einer Pflegefamilie.
Im Frühsommer übernahm die Tante – die heute 21 Jahre alte Schwester der Getöteten – die Vormundschaft für das Mädchen. Ende Juni kehrte sie mit dem Baby in die Ukraine zurück, wie der Anwalt der jungen Frau gegenüber dieser Redaktion sagte. Die Adoption des Mädchens sei dort beantragt, das Verfahren könne aber dauern.
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