Im Interview

Experte aus Hockenheim äußert sich zur Gründung eines Cannabisvereins

Timo Berger vom Verein „Cannabis als Medizin“ und Leiter der Cannabis-Selbsthilfegruppe Hockenheim schildert seine Sicht auf die anstehende Legalisierung und verrät, weswegen er mit der Gründung eines eigenen Clubs zögert.

Von 
Noah Eschwey
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© SZ-Grafik

Hockenheim. Der Konsum der weiblichen Cannabisblüte soll ab 1. April in Deutschland legal sein. Nur die Vertreter der Bundesländer im Bundesrat können den Freigabetermin nun noch nach hinten verschieben. Doch nicht ausschließlich die politischen Lager der demokratischen Gremien debattieren heftig über die Freigabe der Pflanze, die den psychoaktiven Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) beinhaltet. Auch in der Gesellschaft diskutieren Lehrer, Eltern und Aktivisten über die Sinnhaftigkeit der Legalisierung. Was sagen die Hanf-Experten?

Timo Berger, stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Cannabis als Medizin – Südbaden und Baden-Württemberg“ und Leiter der Cannabis-Selbsthilfegruppe Hockenheim, schaut differenziert auf die baldige Legalisierung. Im Interview mit dieser Zeitung thematisiert er die Vorteile der Freigabe und die damit steigende Verantwortung von Eltern gegenüber ihren Kindern im Umgang mit der Pflanze.

Herr Berger, für welche Zielgruppe ist Ihr „Basiskurs Cannabis“ gedacht?

Timo Berger: Der Kurs richtet sich an Cannabiseinsteiger, Eltern, Lehrer und Behörden. Ziel ist es, umfassende Grundlagenkenntnisse zu allen Aspekten der Cannabispflanze zu vermitteln.

Was genau wird im Basiskurs gelehrt?

Berger: Wir vermitteln in unserem Kurs tiefergehende Informationen zur Botanik der Pflanze, den Wirkstoffen und Inhaltsstoffen, rechtliche Grundlagen, Jugendschutz und zum Umgang sowie zur Aufklärung zu Cannabis. Wir warten die Gesetzgebung derzeit noch ab, um den Kurs an diese anzupassen.

Was sagen Sie als Experte für medizinisches Cannabis zur Legalisierung?

Berger: Die Legalisierung am 1. April ist ein wichtiger Schritt hin zur Verbesserung des Zugangs von Patienten zu einer potenziell wirksamen Behandlungsoption. Die Legalisierung ermöglicht es Patienten, die von den medizinischen Vorteilen von Cannabis profitieren könnten, auf sicherere und regulierte Weise darauf zuzugreifen. Durch die Legalisierung können Patienten, die unter chronischen Schmerzen, neurologischen Störungen, psychiatrischen Erkrankungen und anderen Gesundheitszuständen leiden, von den therapeutischen Eigenschaften von Cannabis profitieren, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Es eröffnet auch die Möglichkeit für weitere Forschungen und Studien, um das volle Potenzial von Cannabis in der Medizin zu verstehen und zu nutzen. Als Sachverständiger betone ich jedoch auch die Bedeutung einer angemessenen Aufklärung und Überwachung bei der Verwendung von medizinischem Cannabis. Patienten sollten sich über die potenziellen Risiken und Vorteile informieren und eine professionelle Beratung durch einen qualifizierten Arzt oder Fachmann erhalten, um sicherzustellen, dass die Behandlung ihren individuellen Bedürfnissen entspricht und sicher durchgeführt wird. Insgesamt betrachtet ist die Legalisierung von medizinischem Cannabis ein Schritt in die richtige Richtung, um den Zugang zu einer wirksamen Behandlungsoption für Patienten zu verbessern und die medizinische Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben.

Was ist Cannabis?

  • Die Cannabispflanze gehört zur Gattung der Hanfgewächse. Während Cannabis häufig zur Rauscherzeugung konsumiert wird, hat die Medizin es auch als Heilmittel (wieder-)entdeckt. 
  • Marihuana (Gras, Weed, Pot): getrocknete Pflanzenteile – zumeist Blüten – der weiblichen Hanfpflanze.
  • Haschisch (Hasch, Shit, Dope, Piece): zu braunen, harten Platten gepresstes Harz weiblicher Hanfblüten.
  • Haschisch-Öl (Haschöl, THC-Öl): dickflüssiger Extrakt aus dem Harz weiblicher Hanfblüten.
  • Erwachsene Personen dürfen privat ab dem 1. April 2024 insgesamt bis zu drei Cannabispflanzen gleichzeitig anbauen. An seinem Wohnsitz darf man dann insgesamt 50 Gramm getrocknetes Cannabis für den Eigenkonsum lagern. Alles, was darüber hinaus geht, muss vernichtet werden. Cannabis aus dem privaten Eigenanbau dient nur zum Zweck des Eigenkonsums und darf nicht an Dritte weitergegeben werden.

Wissenschaftler sind sich einig: Cannabis schädigt das Gehirn bis 25 Jahre. Wie kann Prävention durch den Staat und die Schulen aussehen?

Berger: Die Erkenntnis, dass Cannabis das sich entwickelnde Gehirn bis zum Alter von 25 Jahren schädigen kann, ist von großer Bedeutung, insbesondere für Präventionsbemühungen seitens des Staates und der Schulen. Hier sind einige mögliche Ansätze Aufklärung und Sensibilisierung. Der Staat und Schulen sollten umfassende Aufklärungskampagnen durchführen, um Jugendliche über die potenziellen Risiken und Auswirkungen von Cannabis auf das sich entwickelnde Gehirn aufzuklären. Diese Kampagnen sollten wissenschaftlich fundierte Informationen bereitstellen und die Risiken von frühem und übermäßigem Cannabiskonsum betonen. Wichtig ist da die frühzeitige Prävention: Präventionsprogramme sollten bereits in jungen Jahren beginnen und auf die Förderung gesunder Lebensstile und Entscheidungsfindungskompetenzen abzielen. Dies kann dazu beitragen, dass Jugendliche bessere Entscheidungen in Bezug auf den Konsum von Cannabis und anderen Drogen treffen.

Cannabispflanzen (ca. 4 Wochen alt) in ihrer Wachstumsphase stehen in einem Aufzuchtszelt unter künstlicher Beleuchtung in einem Privatraum. Der Bundestag hat am 23. Februar 2024 über die Legalisierung von Cannabis in Deutschland entschieden. © Christian Charisius/DPA

Wie kann eine solche Prävention konkret aussehen?

Berger: Helfen können da schulische Programme: Schulen sollten in ihre Lehrpläne Programme zur Drogenprävention integrieren, die sich speziell mit den Risiken von Cannabis befassen. Diese Programme könnten interaktive Aktivitäten, Diskussionen und Rollenspiele umfassen, um den Schülern ein besseres Verständnis für die potenziellen Auswirkungen von Drogenkonsum zu vermitteln. Zusätzlich braucht es die Förderung alternativer Aktivitäten: Staatliche und schulische Initiativen sollten alternative Freizeitaktivitäten und Interessengruppen fördern, die Jugendlichen positive und gesunde Möglichkeiten bieten, ihre Freizeit zu gestalten und sozialen Kontakt zu pflegen, ohne auf den Konsum von Drogen zurückzugreifen.

Was ist mit Jugendlichen, die schon gefährdet sind?

Berger: Es ist wichtig, Unterstützungssysteme für Jugendliche einzurichten, die einem erhöhten Risiko für Drogenkonsum ausgesetzt sind, sei es aufgrund persönlicher, familiärer oder sozialer Umstände. Diese Programme könnten Beratung, Mentoring und andere unterstützende Dienste umfassen. Zuletzt benötigt eine erfolgreiche Prävention Regulierung und Durchsetzung: Der Staat sollte auch Maßnahmen zur Regulierung des Cannabismarktes ergreifen, um den Zugang von Jugendlichen zu Cannabisprodukten einzuschränken. Dies könnte durch strikte Altersbeschränkungen, Werbebeschränkungen und eine effektive Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften erreicht werden. Indem Staat und Schulen gemeinsam Maßnahmen zur Prävention von Cannabiskonsum implementieren, können sie dazu beitragen, die Gesundheit und das Wohlbefinden junger Menschen zu schützen und das Risiko von schädlichen Auswirkungen auf das sich entwickelnde Gehirn zu minimieren.

Wie können Eltern ihre Kinder vor der – dann legalen – Droge schützen?

Berger: Eltern spielen eine entscheidende Rolle bei der Prävention des Drogenkonsums ihrer Kinder, auch wenn Cannabis legalisiert ist. Um ihre Kinder vor den potenziellen Risiken des Cannabiskonsums zu schützen, könnten Eltern einige Schritte unternehmen, zum Beispiel offene Kommunikation: Eltern sollten mit ihren Kindern offen über die Risiken und Auswirkungen von Cannabis sprechen, einschließlich der Tatsache, dass es das sich entwickelnde Gehirn beeinträchtigen kann. Es ist wichtig, ehrliche und informierte Gespräche zu führen, um sicherzustellen, dass die Kinder die Fakten verstehen und informierte Entscheidungen treffen können.

Welches Verhalten sollten Eltern selbst an den Tag legen?

Berger: Eltern sollten ein gutes Vorbild sein und einen gesunden Lebensstil vorleben, der keinen Drogenkonsum einschließt. Kinder lernen oft durch Beobachtung und Nachahmung, daher ist es wichtig, konsistente Botschaften über den verantwortungsvollen Umgang mit Substanzen zu vermitteln. Eltern sollten klare Grenzen und Regeln in Bezug auf den Drogenkonsum ihrer Kinder setzen und diese konsequent durchsetzen. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass der Konsum von Cannabis während der Jugendzeit nicht akzeptabel ist, unabhängig von seiner Legalität. Daneben sollten Eltern aufmerksam auf mögliche Anzeichen von Drogenkonsum bei ihren Kindern achten, wie Veränderungen im Verhalten, in der Stimmung oder in den schulischen Leistungen. Wenn sie besorgt sind, sollten sie offen mit ihren Kindern darüber sprechen und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Eltern können alternative Aktivitäten und Interessen fördern, die ihren Kindern positive und gesunde Wege bieten, ihre Freizeit zu gestalten und soziale Bindungen zu knüpfen, ohne auf den Konsum von Drogen zurückzugreifen.

Wie können Eltern verhindern, dass Kinder kiffen?

Berger: Zeit mit den Kindern zu verbringen und starke familiäre Bindungen aufzubauen, kann dazu beitragen, das Risiko von Drogenkonsum zu verringern. Gemeinsame Aktivitäten und Gespräche stärken die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und bieten den Kindern Unterstützung und Sicherheit. Indem Eltern aktiv sind, offen kommunizieren und klare Grenzen setzen, können sie dazu beitragen, ihre Kinder vor den potenziellen Risiken des Cannabiskonsums zu schützen, auch wenn es legalisiert ist.

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Kritisiert wird die unbestrafte Höchstmenge von 30 Gramm unter 21 und 50 Gramm über 21 Jahren. Was halten Sie von diesen Monatsgrenzen?

Berger: Die Festlegung von Höchstmengen für den persönlichen Besitz von Cannabis ist eine komplexe Frage, die verschiedene Aspekte berücksichtigen muss, einschließlich der Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, die Kriminalitätsbekämpfung und die individuellen Freiheiten der Bürger. Zu den Gesundheitsrisiken: Die Festlegung von Höchstmengen kann dazu beitragen, den Konsum von Cannabis zu kontrollieren und möglicherweise den Gesundheitsschutz zu fördern. Indem eine Obergrenze für den persönlichen Besitz festgelegt wird, können übermäßiger Konsum und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken möglicherweise reduziert werden.

Was bedeutet die Obergrenze für die Kriminalitätsbekämpfung?

Berger: Auch die Kriminalitätsbekämpfung muss natürlich beachtet werden. Die Legalisierung und Regulierung von Cannabis kann dazu beitragen, den illegalen Markt einzudämmen und die damit verbundene Kriminalität zu reduzieren. Indem eine Höchstmenge für den persönlichen Besitz festgelegt wird, wird möglicherweise der illegale Handel eingedämmt, da es weniger Anreize gibt, Cannabis illegal zu verkaufen. Die Erhöhung der Mindeststrafen wird sicherlich dazu beitragen. Wir sollten auch die individuellen Freiheiten im Blick behalten: Einige Kritiker könnten argumentieren, dass die Festlegung von Höchstmengen für den persönlichen Besitz eine Einschränkung dieser individuellen Freiheiten darstellt und möglicherweise zu einer übermäßigen staatlichen Überwachung führen könnte. Sie könnten argumentieren, dass Erwachsene in der Lage sein sollten, selbst über die Menge von Cannabis zu entscheiden, die sie besitzen möchten, solange sie keine anderen gefährden. Es kräht auch kein Hahn danach, wer wie viel Wein im Keller gelagert hat.

Was bedeutet die Höchstmenge für die Prävention?

Berger: Die Festlegung von Höchstmengen könnte als Maßnahme zur Erziehung und Prävention dienen, insbesondere für junge Menschen. Indem klare Grenzen für den persönlichen Besitz festgelegt werden, könnten junge Menschen besser über die potenziellen Risiken von Cannabis informiert werden und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Substanz erzogen werden. Insgesamt sind die Höchstmengen für den persönlichen Besitz von Cannabis eine kompromissreiche Entscheidung, die verschiedene Interessen berücksichtigt. Es ist wichtig, diese Grenzen regelmäßig zu überprüfen und anzupassen, basierend auf neuen Erkenntnissen über die Auswirkungen von Cannabis und den Bedürfnissen der Gesellschaft.

Auch der Anteil des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) soll begrenzt sein. Was sagen Sie dazu?

Berger: Die Festlegung von THC-Obergrenzen kann dazu beitragen, die öffentliche Gesundheit zu schützen sowie die Sicherheit der Verbraucher zu gewährleisten. THC ist die psychoaktive Substanz in Cannabis, die für die meisten der gewünschten Effekte verantwortlich ist, aber auch für potenzielle Risiken wie psychische Nebenwirkungen und Abhängigkeit. Die Festlegung von Obergrenzen kann dazu beitragen, den Konsum von hochpotentem Cannabis einzuschränken und möglicherweise die mit übermäßigem THC-Konsum verbundenen Gesundheitsrisiken zu reduzieren. Sie trägt auch zur Sicherheit der Verbraucher bei: Durch die Festlegung von THC-Obergrenzen können Verbraucher besser vor unerwartet starken oder überdosierten Cannabisprodukten geschützt werden. Insbesondere für neue oder ungeübte Konsumenten kann der Konsum von Cannabis mit sehr hohem THC-Gehalt unangenehme oder sogar gefährliche Nebenwirkungen verursachen. Die Festlegung von Obergrenzen bietet daher einen Schutzmechanismus, um sicherzustellen, dass Produkte einen angemessenen THC-Gehalt haben. THC-Obergrenzen tragen auch dazu bei, die Konsistenz und Qualität von Cannabisprodukten zu gewährleisten. Durch die Festlegung klarer Standards für den THC-Gehalt können Hersteller und Verbraucher sicherstellen, dass Produkte konsistent sind und den angegebenen THC-Gehalt enthalten. Dies trägt zur Vertrauensbildung in den legalen Cannabismarkt bei. THC-Obergrenzen ermöglichen es den Regulierungsbehörden, den legalen Cannabismarkt effektiver zu überwachen und sicherzustellen, dass Produkte den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Durch regelmäßige Tests und Überprüfungen können die Behörden sicherstellen, dass Produkte den festgelegten THC-Obergrenzen entsprechen und keine potenziellen Gefahren für die öffentliche Gesundheit darstellen. Insgesamt können THC-Obergrenzen somit dazu beitragen, die Sicherheit und Qualität von Cannabisprodukten zu verbessern und die öffentliche Gesundheit zu schützen. Es ist jedoch wichtig, dass diese Obergrenzen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie angemessen sind und den Bedürfnissen der Verbraucher gerecht werden.

Werden Sie selbst einen Anbauverein gründen?

Berger: Derzeit gibt es Überlegungen dazu. Da ich allerdings als Patient, der selbst schon Erfahrungen im Anbau gesammelt hat, keinesfalls meine Kostenzusage der Krankenkasse gefährden möchte, warte ich die genauen Bestimmungen zu den Cannabisclubs erst noch ab.

Volontariat Noah Eschwey ist Volontär in der Lokalredaktion der Schwetzinger Zeitung/Hockenheimer Tageszeitung.

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