Hockenheim. Als sich nach einer zweistündigen Achterbahnfahrt der Gefühle die Leinwand abdunkelte, der minimalistische Abspann über diese huschte und die Stadtkapelle letztmalig zu einem wehmütig-erhabenen Schlenker ausholte, blieb kaum einer der zirka 300 Zuschauer ungerührt zurück. Denn mit der Live- Inszenierung der Filmmusik „Die Jungen von der Paulstraße“ konnten die Musiker an die Emotionalität und Klangfülle des Rockkonzertes im Wieslocher Palatin anknüpfen, mit dem sich das Orchester im Dezember verabschiedet hatte. Erneut wurde klar, dass sinfonische Blasmusik ein breites Spektrum an Genres abdeckt und einen attraktiven Raum für kreative Konzertideen bietet.
Das Vorhaben, einen Film live mit Orchestermusik zu begleiten, stieß von Beginn an auf große Begeisterung. Weil es wenig Filmmusik gibt, die explizit für ein Blasorchester komponiert wurde, fiel die Wahl beim Suchen eines geeigneten Werkes schnell auf Otto M. Schwarz’ Eigenkomposition zu Maurizio Maccaros „Die Jungen von der Paulstraße“. Die Synchronisation eines Orchesters mit Bewegtbild ist keine leichte Aufgabe: Mit einem durchgängigen „Click-Track“, also einem speziellen Metronom im Ohr des Dirigenten und aufwendigen Probephasen konnte jedoch eine schmeichelhafte Symbiose zwischen Orchester und Film erschaffen werden.
Melancholie weist den Weg in die sich anbahnende Katastrophe
Dass der Streifen nicht gerade zum Lachen einlädt, wird bereits mit der hymnischen Orchesterintroduktion gleich zu Beginn klar. Mit einem melancholischen und beinahe bittersüßen Thema weist Schwarz der sich anbahnenden Katastrophe den Weg. „Die Jungen von der Paulstraße“ ist eine tragische Geschichte. Die Musik lässt den Zuhörer dabei eine unwirkliche und dunkle Atmosphäre, die sich zwischen einigen scherzhaft bewegten Teilen anbahnt, immer wieder aktiv erleben. Im Film entfacht parallel dazu ein Streit zwischen zwei verfeindeten Jugendbanden, den „Jungen von der Paulstraße“ und den sogenannten „Roten Hemden“.
Ein leerstehendes Sägewerk wird zum Zankapfel. Der junge Nemecsek ist in diese Rivalität stark eingebunden und hat nebenbei mit familiären Problemen zu kämpfen. Als die entscheidende Schlacht bevorsteht, stirbt der Junge an den Folgen einer Lungenentzündung in den Armen seiner Mutter. Die Musik strahlte durch die engagierte Leistung der Stadtkapelle, die dem teilweise sehr einfach gestrickten musikalischen Material viel Aussagekraft entlocken konnte, sodass der Soundtrack die Handlung des Films in jeder Sekunde treffend kommentierte.
Immer wiederkehrende Motive und Themen illustrierten Personen, Orte oder Emotionen. Diese wurden präzise interpretiert, an keiner Stelle erschien das Orchester unsicher oder wackelig. Um eine geeignete Balance zu finden, hielten sich die Musiker dynamisch stark zurück, nur wenige Stellen erlaubten voluminöse Klangausbrüche. Als der kleine Junge Nemecsek sein Leben lässt, war einer dieser Momente gekommen. Leise kündigten sich sakrale Blechakkorde an, die sich bis zu einer hymnischen Wiederkehr des melancholischen Hauptthemas aufbauschten. Nachdem der letzte Ton verklang, brachen Begeisterungsstürme los. Auch Dirigent Koch zeigte sich erfreut: „Ich möchte meiner Stadtkapelle ein großes Lob aussprechen. Ihr habt das wunderbar gemacht!“ Die Tragödie hatte damit, zumindest bei der Stadtkapelle, ein Happy End.
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