Hockenheim. Der Jubel war riesig. Eine Sekunde auf der Bühne und das Publikum in der Stadthalle schien entfesselt. Bei „Mundstuhl“ und ihrer eingeschworenen Fantruppe ist das vielleicht gar nicht so überraschend. Der Ruf dieses derben Hessenduos ist legendär. Doch nach der langen „Mundstuhl“-Abstinenz schien das Ganze doch etwas wilder als sonst. Lars Niedereichholz und Ande Werner verstanden es dabei einmal mehr, mit ihren Höhen- und noch mehr mit ihren extremen Tiefflügen das Publikum zu begeistern.
Es dauerte jedenfalls nur Minuten und das Land Absurdistan war erreicht. Die politischen Inkorrektheiten und Schläge weit unter die Gürtellinie führen zwar nicht immer, aber eben doch immer wieder zu erstaunlichen Höhenflügen, die einen durchaus klugen Blick auf die Gesellschaft erlauben. Es ist das „Mundstuhl“-Versprechen und die beiden lösten es mit ihrem Programm „Flamongos“ zur Freude der Zuschauer einmal mehr ein.
Dragan und Alder mit im Gepäck
Die Protagonisten waren alle versammelt. Die beiden ostdeutschen Mehrfachmütter Peggy und Sandy ebenso wie das Zauberpaar Sickroy und Fried, die Grilllegende Grillhorsch, der frisch vermählte Andy und die komplett druckfreien Friedensaktivisten Torben und Malte sowie Dragan und Alder. Die beiden Letzteren sind auf dem Olymp der legendären Figuren längst ganz oben angelangt. Kaum ein Paar entblößt den Irrsinn von Statussymbolen so gekonnt und schön wie Dragan und Alder.
Die Auslassungen über Modedesigner Gucci sind jedenfalls sagenhaft. Dazu dann noch die Einteilung der Menschheit in Rückwärts- oder Zweite-Reihe-Parker und das gesellschaftliche Zerrbild des Duos ist perfekt.
Auch die Ausführungen von Peggy und Sandy rund um die Bedeutung von Doppel- und Dreifachnamen, wie Chantal Luna Moon, oder zum Rechtsradikalismus sind, sagen wir einmal, bemerkenswert. Irgendwie schaffen es die beiden Hessen immer wieder, von der Seitenauslinie erstaunlich genau die Mitte zu treffen. Die eigene Perspektive gerät dabei in eine Art Achterbahnfahrt und wenn es gut läuft, entstehen dabei ein paar Fragen an das eigene Ich. Klar kommen diese manchmal etwas plump daher, aber sie kommen wenigstens daher. Und dann ist das plumpe auch manchmal einfach schön.
Über die Stränge schlagen, neun gerade sein lassen und, ja, sich für ein paar Momente über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen, hat etwas Befreiendes an sich. Gerade weil sie sich dabei gegenüber nichts und niemandem zurückhalten. Vor ihrem Spott ist niemand sicher, nicht einmal sie selber. Und dafür gab es zum Schluss in der Stadthalle Beifallsstürme.
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