Hockenheim. Er ist der unangefochtene Gentleman unter den Blues-Veteranen, ein Genuss für die Ohren, eine Herausforderung für den Intellekt und Balsam für die Seele: Paul Millns, der im August seinen 80. Geburtstag mit einem Konzert vor über 500 Gästen auf Schloss Goseck in Sachsen-Anhalt gefeiert hat, ist nicht nur auf den Brettern des altehrwürdigen Hockenheimer Kulturzentrums „Pumpwerk“ ein längst traditioneller Dauergast; vielmehr ist der Brite, der auch einen irischen Pass besitzt, seit seinem Karrierestart in den 1960ern weltweit unterwegs, um seinen Fans musikalisch die Seele zu streicheln.
Jetzt hat er seinen fest zum rennstädtischen Kulturkalender gehörenden Herbstbesuch zwischen Ring und Wasserturm absolviert: vor eingefleischten Millns-Liebhabern, die nahezu jeden Song mitsingen konnten.
Paul Millns sorgt in Hockenheim für Musikabend der Extraklasse
Das liegt nicht daran, dass Millns seine aktuelle Tournee mit einem Rückblickprogramm seiner Gassenhauer bestreiten würde. Ganz im Gegenteil ist jeder Auftritt des begnadeten Pianisten und Sängers ein Unikat. Aber die große Kohäsionskraft seiner Musik, die seit Jahrzehnten verlässlich und unerschütterlich bleibt, gepaart mit der bescheidenen, aber extrem verbindlichen Bühnenpräsenz fesselt seine Anhängerschaft auf eine ganz besondere Weise.
So erlebte Hockenheim zwei Stunden Musik der Extraklasse, sanfte, nachdenkliche, manchmal auch ein wenig melancholische Bluesklänge im Balladenstil, rassige, mitreißende und gewitzte Beats zur Auflockerung dazwischen. Und das mit einer Herzenswärme, die ihresgleichen sucht. Als Klammer schickte Paul Millns Genesungswünsche sowohl zum Konzertauftakt als auch zum Abschluss an seinen langjährigen kanadischen Begleiter, Gitarrist und Mundharmonika-Teufel Butch Coulter, der kurz vor Tourneebeginn ins Krankenhaus musste – auch diese Zuneigung, die der offenherzigen Künstler versprüht, ist Teil seiner Kohäsionskraft.
Seitenhiebe auf das Weiße Haus der USA - im gemütlichen Plauderton
Im gemütlichen Plauderton gab der Mann, der sich im Geist erst „mittelalt“ fühlt, der aber in Wirklichkeit „alt genug, um US-Präsident zu werden“ ist („But I’m not stupid“, verteilte er noch in den ersten fünf Minuten einen von zahllosen Seitenhieben auf den Zündler im Weißen Haus), zum Opener seinen Lockdown-Klassiker „Several Shades of Blue“, den Titelsong seines neusten Albums „History of a Kiss“, das er auf einem großen Steinway aus den 1930er Jahren eingespielt hat, oder – diesmal ganz intim – „Home for the Weekend“ vom 2001 erschienen Unplugged-Album „Footsteps“ als Paradebeispiel für seine besondere Musik: Ein Familiensong, wobei Familie ja nicht immer glücklich sein muss.
Mit seinen ruhigen, warmen, liebevollen Liedern vermittelt der Mann, dessen Performance am Klavier beeindruckend, dessen mal ebenmäßig kultivierte, mal angeraute Stimme betörend und dessen Musik immer ein hochverdichtetes atmosphärisches Erlebnis ist, in emotionalem Grundton und einprägsamer Motivik in einem charakterstarken, hyperindividuellen Sound Geschichten, die in ihrer Alltäglichkeit immer zärtlich und sensationell und dabei beeindruckend vielschichtig sind. So wie das kuschelweiche, als eine Art „Blues-Prayer“ daherkommende „Give me the Time“, in das sich Millns förmlich hinein schmiegte, oder wie die melancholischen Manegenklänge „Calling all Clowns“, die Millns nicht nur zur Rückbesinnung und zur Kritik an der Gesellschaft und ihrem oft verstellten Blick nutzte, sondern auch zu einem weiteren Kommentar: „The western world is ruled by an red idiot clown“.
Emotionaler und mitreißender Musik als Kritik und frohe Botschaft zugleich
Als Kontrastprogramm gab es dazwischen von seiner neuesten Platte mit dem zehnten Track „Down in the Danger Zone“ eine ganz andere Stimmung zu hören: Viel Pressing im prononcierten Klavier, Dramatik und Vehemenz in der Stimme – großartig. Ebenso wie der rockige Pausenschicker „Taste of Rock‘n‘Roll“.
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Am Bass und am Akkordeon begleitet ihn sein zweites langjähriges „Alter Ego“ neben Coulter, der Bassist Ingo Rau, dessen fantasievolles und grundsolides Spiel den Zauber der millns‘schen Musik, die oft romantisch, aber nie kitschig ist, unterstreicht und herausarbeitet. Die Farbtupfer in der unmittelbar zum Herzen gehenden Bluesballade „Thanks for the Photographs“ vom Album „Close to the Bone“ ausdem Jahr 2024, das den Schwerpunkt des Programms bildete, verursachten unausweichlich wohlige Gänsehautgewitter. Seine virtuose Fingerfertigkeit konnte Rau in vielen Soli unter Beweis stellen. Richtig ausgekostet hat er das mit dem eher rockigen Titel „Close Companion oft he Blues“ oder dem Chicago-Style-Blues „Happy go, lucky Joe“.
Als das Publikum nach zwei Stunden abwechslungsreicher, maximal emotionaler und mitreißender Musik vehement die Zugaben erklatschte, präsentierte Millns mit „Small Mercies“ einen bislang noch unveröffentlichten Titel, der wie ein Destillat der Botschaft des immer mit intelligenten, einfühlsamen Texten glänzenden Musikers wirkte: Auch wenn es leicht wäre, depressiv zu werden, wenn man sich heutzutage in der Welt umschaut, sieht Paul Millns immer auch die kleinen Hoffnungsschimmer und die vielen mutmachenden Wegbegleiter – Musik als Kritik und frohe Botschaft zugleich.
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