Naturkatastrophe

Reilinger Ringer aus der Türkei rettet sich knapp vor Erdbeben

Der türkische Ringer Halil Gökdeniz von der RKG Reilingen/Hockenheim erlebte beim großen Erdbeben in seiner Heimat Schreckliches. Der Verein ruft nun zu Spenden auf.

Von 
Henrik Feth
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Rettungskräfte durchsuchen die Trümmer eines zerstörten Gebäudes nach Überlebenden. So wie auf diesem Bild ist auch das Haus der Familie von Halil Gökdeniz durch das Erdbeben völlig zerstört worden. © Hussein Malla

Hockenheim / Kahramanmaras. Es ist früher Morgen am 6. Februar, Halil Gökdeniz schläft noch im Haus seiner Familie in der türkischen Metropolprovinz Kahramanmaras, etwa 100 Kilometer nördlich von der syrischen Grenze und 150 Kilometer nordöstlich der Stadt Adana entfernt. Was dann geschieht, entzieht sich jeglicher Vorstellungskraft: Heftige Erschütterungen lassen den 21-Jährigen, der beim Ringen-Zweitligisten RKG Reilingen/Hockenheim aktiv ist, aus dem Schlaf hochschrecken. Es ist, als würde die Welt von einem Moment zum anderen in tausend Stücke zerbrechen. Gökdeniz weiß zunächst nicht, ob er immer noch schläft und vom Weltuntergang träumt.

Hat sich beim rettenden Sprung verletzt: Halil Gökdeniz. © Gökdeniz/RKG

„Es war, als würde die Apokalypse ausbrechen. Als ich meine Augen öffnete, war es, als würde ich das Haus vom einen Ende zum anderen berühren“, schildert der Athlet dieses Horrorerlebnis bei der Naturkatastrophe in der Türkei und Syrien. Doch der bis heute andauernde Alptraum hatte zu diesem Zeitpunkt erst begonnen, denn das bis dahin stärkste Erdbeben seit Beginn der Aufzeichnungen in der Türkei, sollte im weiteren Verlauf noch etliche Opfer fordern und unsägliches Leid verbreiten. Die Bilder gingen um die Welt, doch die Hölle, in der sich die Betroffenen vor Ort befinden, ist kaum in Worte zu fassen.

Nach einem ersten Moment der Verwirrtheit schaltet Gökdeniz instinktiv in den Überlebensmodus, und das keine Sekunde zu früh: „Es gab schon vorher kleine Erdbeben und ich habe mir damals vorgenommen, dass ich im Falle eines großen Erdbebens vom Balkon auf das Dach des Nachbarhauses springe.“

Erdbeben in der Türkei zerstört das Zuhause des RKG Reilingen/Hockenheim-Athleten

Da sich der junge Türke im Obergeschoss befindet, ist dies die wohl beste Möglichkeit, um das Haus rechtzeitig zu verlassen und nicht verschüttet zu werden. Zögern ist keine Option, Gökdeniz handelt, kurz bevor eine weitere Erschütterung das Haus teilweise zum Einsturz bringt. Seine Familie kann ebenfalls rechtzeitig das Eigenheim verlassen, bevor dieses beim nächsten Beben komplett in sich zusammenfällt und nichts als Zerstörung hinterlässt.

Der Sportler bricht sich beim Sprung nach draußen den Knöchel und trägt eine Platzwunde davon. Sein Leben und das seiner Eltern, Brüder und Schwestern ist gerettet – doch das Zuhause liegt in Trümmern. Schreie und Hilferufe bestimmen mit den schrecklichen Lauten einstürzender Gebäude die Geräuschkulisse – die Hölle auf Erden scheint ausgebrochen. Ein Quäntchen Sicherheit sollten die Betroffenen erst später erreichen.

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Vanessa Schwierz
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Gökdeniz beschreibt die Lage in der Erdbebenregion: „Jede Stunde wackelt die Erde und immer wieder stürzen Häuser ein. Es gibt keine Krankenhäuser mehr. Die Situation ist viel schlimmer als es die Bilder im Fernsehen zeigen“. Inzwischen ist der 21-Jährige gemeinsam mit seinen Verwandten im Haus seiner Großmutter, das nicht eingestürzt ist und in dem fünf weitere Familien untergekommen sind.

Andere RKG-Athleten aus der Türkei überstehen Katastrophe ebenfalls

Die RKG Reilingen/Hockenheim, die seit mehreren Jahren türkische Sportler als Erfolgsgaranten auf die Matte schickt, zögerte nicht, um sich nach dem Befinden ihrer Athleten zu erkundigen: Freistiler Bugra Bulut, selbst türkischstämmig, nahm Kontakt mit seinen Mannschaftskameraden auf und konnte Entwarnung geben. Außer Gökdeniz überstanden Olympiasieger Taha Akgül und Freistiler Ender Coskun ebenfalls den Erdbebenhorror.

Doch die Angst vor einem weiteren Beben herrscht bei Gökdeniz immer noch vor, so sei unweit vom Haus seiner Großmutter ein fünfstöckiges Gebäude, das bei einem Einsturz sicher auch die nähere Umgebung zerstören würde.

Neben den körperlichen Verletzungen trägt der 21-Jährige vor allem auch seelische Wunden davon. „Meine Psyche ist kaputt“, teilt Gökdeniz konsterniert seinem Ringerkameraden mit. Der Schock verhindert, dass er mehr dazu sagen kann. Er ist noch im Überlebensmodus, gemeinsam mit seinen Landleuten und den syrischen Nachbarn ist er auf Hilfe angewiesen, um die apokalyptischen Zuständen in der Erdbebenregion zu überstehen.

RKG Reilingen/Hockenheim errichtet Spendenkonto für Erdbeben-Opfer über Paypal

„Wir sind über die Ereignisse in der Türkei und Syrien sehr schockiert, trauern um die unzähligen Opfer und sind in Gedanken bei deren Angehörigen“, lässt die Ringkampfgemeinschaft verlauten. Um für Unterstützung zu sorgen, hat der Verein ein Paypal-Spendenkonto eingerichtet. Auf dieses sind bereits über 1000 Euro eingegangen, die direkt an den RKG-Athleten Ender Coskun, der vor Ort im Hilfseinsatz ist, weitergeleitet wurden.

Denn nun heißt es wieder einmal zusammenstehen. Der Horror, die Verluste geliebter Menschen und der komplette Zusammenbruch des Alltags in den betroffenen Regionen der Türkei und Syrien sind nicht ohne Hilfe zu bewältigen. Empathie, Menschlichkeit und Einsatz sind nun gefragt, um Halil Gökdeniz und seine Leidensgenossen aus diesem Alptraum zu befreien. Die Ringkampfgemeinschaft und viele weitere Helfer werden den Türken und Syrern zur Seite stehen.

Redaktion Verantwortlicher Redakteur für die Gemeinde Ketsch

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