Pumpwerk

Stephan Hippe begeistert in Hockenheim mit Hommage an Charles Aznavour

Der magische Abend im Pumpwerk vereinte Charles Aznavours und Stephan Hippes Stimmen in einem emotionalen Chanson-Revival. Modernste Technik ermöglichte eine nahtlose Verbindung von Bühne und Leinwand.

Von 
Andreas Wühler
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Mit modernster Technik erweckt Stephan Hippe in seiner Schau „Charles und wie er die Welt sah - 100 Jahre Charles Aznavour“ den Künstler und seine Zeit zum Leben. © Lenhardt

Hockenheim. Es war ein magischer Abend. Die Stimme von Charles Aznavour im Duett mit der von Stephan Hippe, der französische Chansonier wie er in launigen Worten Stationen seines Lebens Revue passieren lässt. Edith Piaf, die mit ihrer, der Kurpfälzer würde sage „Schnoddergosch“ den Künstler erdet – die Stars des französischen Chansons hatten sich im Pumpwerk zum Familienabend verabredet und die Zuschauer im sehr gut besuchten Kulturtreff durften sich als Teil davon fühlen.

Ermöglicht hat den außergewöhnlichen Abend zweierlei – Stephan Hippe und die moderne Technik. Eins vorab zur digitalen Auferstehung, dann ist das Thema abgehakt. Da kann dann die Piaf auf Deutsch mit Aznavour parlieren, dieser lippensynchron mit Hippe singen oder gemeinsam mit diesem ein Tänzchen wagen. Ganz ausgereift zeigt sich die Technik im Pumpwerk noch nicht – „Sie erleben eine Premiere“, erklärte Hippe den einen oder anderen Aussetzer. Hinzu kamen Filmschnipsel und Interview-ausschnitte, die von Hippe generalüberholt wurden, sodass die Illusion perfekt war, der Übergang von der Leinwand auf die Bühne sich nahtlos gestaltete.

Zwei Jahre Vorbereitung

Womit der Weg frei ist für den Inhalt, der sich problemlos auf den ersten Satz von Hippe konzentrieren lässt: „Ich stehe auf den Schultern eines 1,61 Zentimeter großen Riesen.“ Gewaltig ist das Werk, das der Sänger und Schauspieler Aznavour hinterlassen hat. Selbst wer kein ausgesuchter Aznavour-Fan ist, konnte mit den meisten Liedern an diesem Abend etwas anfangen, viele der rund 1300 Songs, die der Künstler schrieb, sind in die Musikgeschichte eingegangen.

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Hippe eröffnet den Reigen mit „Hier encore“, auf deutsch von ihm gesungen, in dem Aznavour auf sein Leben zurückblickt – „gerade war ich noch 20 Jahre“. Zwar entstand das Lied schon 1964, das war der Sänger gerade mal 40 Jahre alt, doch kann es auch als Rückblick für ein langes Leben stehen – Charles Aznavour starb 2018 im Alter von 94 Jahren.

Noch zwei Wochen vor seinem Tod stand er auf der Bühne, agil wie er es sein Leben lang gewesen war. Über 1300 Lieder hat er geschrieben, 91 Alben aufgenommen und in 80 Filmen mitgewirkt – „wie soll man dieses Werk auf zwei Stunden konzentrieren“, wollte Hippe zu Beginn vom Publikum wissen. Eins vorneweg – es gelang ihm nicht, in Hockenheimer braucht er, ohne Pause, gut zweieinhalb Stunden. Vergnügliche Stunden wohlgemerkt.

Die Arbeit am Lebenswerk von Aznavour hat sich Hippe nicht leicht gemacht, zwei Jahre Arbeit stecken in dem Programm, für das sich im Pumpwerk der Vorhang hob. Hippe, der seit über drei Jahrzehnten auf der Bühne steht, studierte Schauspiel und Gesang in Hamburg und begann seine Karriere 1991 im Theater am Holstenwall in der Rolle von Brad Majors in der Rocky Horror Picture Show. Es folgten zahlreiche Hauptrollen auf Theaterbühnen, das Fernsehen interessierte sich für ihn – Anfang des Jahrhunderts zog er sich ausgebrannt nach Frankreich zurück, was ihm zur zweiten Heimat wurde. 2005 kehrte er nach Hamburg zurück und eröffnete mit seinem Partner eine Brasserie, die zu einem der führenden französischen Restaurants in Hamburg wurde.

Doch zu diesem Zeitpunkt war er schon vom Aznavour-Virus infiziert, er hatte den Sänger 2001 erstmals bei einem Konzert in Nizza erlebt und war von dessen Kunst auf Anhieb begeistert, wurde ein Fan von ihm. Zu seinem 90. Geburtstag autorisierte Aznavour die von Hippe angefertigte Übersetzung seine Chansons „Sa Jeunesse“.

„Monsieur Halsentzündung“

Wenn an diesem Abend eines deutlich wurde – neben dem Können des französischen Sängers und Komponisten – dann wohl, dass er unbeirrt seinen Weg folgte, sich von nichts und niemanden beirren ließ. Und das waren nicht wenige Stolpersteine, wie den von der Leinwand gesprochenen Worten von Aznavour zu entnehmen war. Am Anfang seiner Karriere wurden ihm Kritiken um die Ohren gehauen, die nach heutigem Empfinden öffentliche Hinrichtungen sind: Keine Stimme, zu klein, kein Aussehen, sollte sich als Armenier besser auf die Buchführung versteifen – Diffamierungen, wie sie heute unvorstellbar sind, die ihm schon in der Schule um die Ohren schlugen, denn für Aznavour stand von klein auf fest: Ich werde Sänger. Nach zwölf langen Jahren, die Presse nannte ihn mittlerweile Monsieur Halsentzündung, kam dann an der Seite der Piaf der Durchbruch. „Man hat mich viel zu stark gedemütigt, als dass sich hätte aufgeben können“, erinnert sich Aznavour, der von seinen berühmten Kollegen, für die er allesamt Lieder geschrieben hat, auch für die Piaf, zur eigenen Karriere gedrängt wurde.

Ja, die Kollegen, alle kamen sie an diesem Abend zu Wort. Vorneweg der Star der 1940er und 1950er Jahre in Frankreich, Charles Trenet, dessen Chanson „La Mer“ noch heute die Sehnsucht nach den Staden des Südens weckt. Mit ihm war Aznavour ebenso befreundet wie mit Gilbert Becaud, Monsieur 100 000 Volt, dessen „Nathalie“ ebenso unvergessen ist wie „L’important c’est la rose“. Keinen Hehl machte Aznavour daraus, dass er sich mit Jacques Brel nicht verstand – „wir hatten ein kompliziertes Verhältnis“.

Und natürlich die Frauen, die in Aznavours Leben immer eine große Rolle spielten. Am Anfang steht die Piaf, die ihn unter ihre Fittiche und mit auf Tournee nahm, der Anstoß zu seiner Weltkarriere. Ihr bescheinigte er rückblickend ein Herz wie einen Felsen, aber einen Charakter . . . „Ich habe sie gemocht, aber ihre Art“, schüttelt der Sänger den Kopf und spricht von einer Hassliebe. Und dann tauchen auf der Leinwand Dalida und die Greco auf, die ihm prophezeit, einmal der Größte zu sein.

Und dazwischen immer wieder die Lieder des Künstlers, der über das Leben sang, derb und schmutzig, wie es war, der den Traum von Liebe mit „Du lässt dich gehen“ konterte oder in die Rolle eines Transvestiten schlüpft „Comme ils Disent“. Chansons, die allesamt im Lied des Lebenskünstlers münden – „La Boheme“.

Es gäbe noch vieles über diesen Abend zu erzählen, Aznavours Flirt mit Miss Piggy, die unter dem Charme der französischen Sprache dahinschmilzt, die vielen unvergesslichen Songs aus seiner Feder, doch letztlich bleibt ein Wort von dem Mann, der sich selbst als aus Stahl bezeichnet, kurz vor seinem Tode gesprochen: „Strebe nach Perfektion.“

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