Ketsch/Schwetzingen. Einen spannenden Dokumentarfilm in Spielfilmlänge präsentiert das Central Kino in Ketsch zusammen mit der Schwetzinger Zeitung Mitte Juli. Regisseur Jean Boué („Refugee 11“, „Ebola“), mehrfacher Grimme-Preisträger, hat sich das Thema Lokaljournalismus vorgenommen und erzählt anhand drei ganz unterschiedlicher Reporter, in welchem Spannungsfeld regionale und lokale Zeitungen heute arbeiten, was sie behindert, wie sie verwurzelt sind und wie sie die Transformation vom gedruckten ins digitale Zeitalter schaffen. Der Film „Die letzten Reporter“ erzählt die Geschichte von Lokaljournalisten, von Leuten, die für Zeitungen schreiben, deren Leser in der Umgebung leben. Einer berichtet über Sport, eine über Soziales, einer über das bunte Leben. Dank ihrer persönlichen Eindrücke und Empfindungen liefern sie Informationen aus erster Hand. Sie schreiben exklusiv für die, die sich und ihre lokalen Belange im weltweiten Netz kaum finden.
Doch die Zeiten sind im radikalen Wandel und das Berufsbild ändert sich. Der rasant wachsende Online-Journalismus stellt die Reporter vor neue Aufgaben – wenn ihr Berufsstand nicht aussterben soll, müssen sie sich neu erfinden. Wir haben zum Filmstart in Ketsch am Freitag, 16. Juli, um 19.30 Uhr im Central Kino mit Jean Boué gesprochen, der das Drehbuch geschrieben hat und Regie führt. Unser Medienhaus präsentiert die Filmpremiere und die anschließende Diskussion im Rahmen des Jubiläums 140 Jahre Schwetzinger Zeitung.
Wie haben Sie gemerkt, dass Lokaljournalismus wichtig für Ihr Leben ist?
Jean Boué: Als ich vor 15 Jahren von Berlin-Kreuzberg in die dünnst besiedelte Prignitz zog, habe ich mein Abo der Süddeutschen Zeitung mitgenommen. Um auch weiterhin auf dem Laufenden zu sein. Nach einer Zeit hatten wir bei uns kein Wasser. Ich ging rüber zur Nachbarin. Die sagte mir, dass das ganze Dorf Bescheid weiß, weil es in der Zeitung stand. In der Zeitung, die ich nicht las. Da verstand ich erstmals, dass die lokale Zeitung für mich wichtig ist. Sie informiert über Angelegenheiten, die ich nirgendwo anders erfahre. Und doch ist sie auf gewisse Weise welthaltig.
Wie haben Sie die Charaktere ausgewählt, die Sie dokumentieren?
Boué: In der Lokalzeitung gibt’s alles: Freiwillige Feuerwehr, Nutztierschau, Hockey der C-Knaben, Tag der offenen Tür und Eichenprozessionsspinnerbekämpfung. Und es gibt Ehrenamt, jede Menge Ehrenamt, weil sich Leute mit Gemeinsinn unentgeltlich engagieren. Mir war es wichtig, dass meine Protagonisten diesem Kaleidoskop entsprechen. Deshalb sind die drei sehr unterschiedlich. Der eine brennt für den Sport, die zweite kümmert sich um soziale Belange und der dritte um Kultur und Klatsch.
Wie lange haben Sie die einzelnen Kollegen begleitet und was ist Ihnen da aufgefallen?
Boué: Wir haben die drei über ein Jahr begleitet. Interessant war, dass sie alle in dieser Zeit eine eigene Entwicklung durchliefen. Der Sportreporter musste sich neu erfinden, weil er seine Berichte auch aktuell online posten soll. Der Gesellschaftsreporter kämpfte darum, vor der Pensionierung noch Schritt zu halten und die junge Journalistin trat nach dem Studium mit viel Elan ihre erste Stelle an. Sie gaben uns für den Film Dramaturgien vor.
Was macht die besondere Nähe zu dem, über das die Lokaljournalisten schreiben, mit den Journalisten, die Sie in Ihrem Dokumentarfilm zeigen?
Boué: Ich hoffe ich verstehe Ihre Frage richtig. Die Nähe der Lokaljournalistinnen zu den Themen und den Menschen, über die sie schreiben, setzt eine gewisse Verantwortung voraus. Im lokalen Bereich meine ich eine größere Fairness und mehr Respekt wahrgenommen zu haben. Aber das liegt auch ein bisschen in der Natur der Sache, denn wenn ein Reporter den Ablauf des Bürgerfestes falsch wiedergibt, braucht er dort nicht wieder aufzutauchen. Die Nähe zu der Leserschaft ist eine Art Korrektiv. Ein Journalist wie Claas Relotius, der Dinge erfindet, würde hier nicht weit kommen. Lokaljournalismus ist viel direkter und ehrlicher, falsche Fakten oder erfundene Interviews fliegen auf.
Wer übernimmt die Aufgabe, wenn es keine Lokalzeitungen mehr gibt?
Boué: Wenn ich das wüsste – online funktionieren diese Zeitungen meist noch nicht. Zumindest nicht mit den Portalen, die es derzeit gibt. Obwohl der Bedarf an Information aus dem direkten Umfeld immens ist – vor allem auch bei jungen Menschen, die im kleinstädtischen oder ländlichen Raum leben. Die treffen sich nun in Blasen bei Facebook oder Insta-gram, finden sich in Whatsapp-Gruppen, also in Bereichen, die für andere nicht zugänglich sind. Die Zeitung ersetzt das nicht.
Was können wir alle gemeinsam tun, um die letzten Reporter zu unterstützen?
Boué: Gute Frage. Wenn ich das wüsste. Vielleicht weiterhin die Lokalzeitung kaufen, auch wenn einem die Inhalte nicht immer gefallen. Und sei es die Online-Ausgabe. Denn die Zeitung aus Papier ist eindeutig auf dem Rückzug – was ja ökologisch durchaus sinnvoll ist. Der ausgeschnittene Zeitungsartikel wird bald ein Relikt sein.
Wie müssen sich die Reporter fit für die Zukunft machen?
Boué: Angesichts aller Entwicklungen in den Medien, vor allem digital, hat der Lokaljournalismus immer noch ein Alleinstellungsmerkmal. Er berichtet über das, was kein anderes Medium bedient. Das darf man nicht vergessen. Lokaljournalistinnen und Reporter berichten absolut exklusiv, darauf sollten sie sich verlassen können. Aber das funktioniert nur, wenn die Leserschaft weiterhin Lokalzeitungen kauft oder abonniert.
Im Gespräch mit Jürgen Gruler
- Der Film „Die letzten Reporter“ zeigt sehr eindrücklich, in welchem Spannungsfeld sich Lokaljournalisten befinden.
- Die Schwetzinger Zeitung befindet sich mitten in ihrem Jubiläum. Seit 140 Jahren bietet sie den Menschen vor Ort Informationen und Hintergründe, gute und schlechte Nachrichten aus ihrem direkten Umfeld – sowohl gedruckt als auch digital.
- Im Anschluss an die Premiere des Films im Central Kino in Ketsch am Freitag, 16. Juli, um 19.30 Uhr diskutiert Radiomoderatorin Doris Steinbeißer mit dem langjährigen Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung Jürgen Gruler darüber wie Lokaljournalismus heute und in Zukunft gelingen kann.
- Tickets können – für Morgencard-Inhaber mit Ermäßigung – unter www.central-ketsch.de reserviert werden. Die Morgencard ist dann zur Veranstaltung mitzubringen. Die weiteren Filmvorstellungen am 18. Juli um 18 Uhr, am 22. Juli um 19.30 Uhr und am 24. Juli um 19.30 Uhr, sind dann ohne Rabatt und Diskussion.
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