Gewerbegebiet Süd - Erst zwei der letzten zwölf Grundstücke verkauft / Für Rest gibt es Reservierungen / Betriebe aus Gemeinde und Umgebung siedeln sich an

Haubenlerche und Bürokratie als Bremser

Von 
Benjamin Jungbluth
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Die Thüringer Straße im hintersten Zipfel des Gewerbegebiets Süd ist seit rund einem Jahr fertig. Doch bis sich hier Betriebe ansiedeln, wird es noch einige Zeit dauern. © Jungbluth

Ketsch. Die Thüringer Straße ist bei den meisten Ketschern wohl noch unbekannt, schließlich gibt es sie erst seit einem knappen Jahr. Selbst der Kartendienst Google Maps kann mit dem Namen noch nichts anfangen. Die Sackgasse mit großem Wendehammer befindet sich ganz im Südosten des Gewerbegebiets Süd, mündet nahe der Mecklenburger Straße in die Sachsenstraße – und dient seit ihrer Fertigstellung vor allem als Parkplatz für Angestellte der nahen Firmen und Spaziergänger, die ihre Hunde ausführen. Doch eigentlich soll sie die letzten Baugrundstücke erschließen, die die Enderlegemeinde im Süden anzubieten hat.

Von Platz für „zehn bis zwölf Firmen“ aus dem Handwerk und der Dienstleistungsbranche spricht das Land Baden-Württemberg, das Eigentümer der Flächen ist. Nach dem Bau der benachbarten riesigen Logistikhalle samt Firmenzentrale des Sportartikelhändlers „21sportsgroup“ sollte es eigentlich schnell gehen mit der endgültigen Fertigstellung des Gewerbegebiets, die Gemeinde errichtete zeitnah die neue Erschließungsstraße. Doch zwei Faktoren haben den ambitionierten Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht, erklärt das Land: Bürokratische Hürden – und die geschützte Haubenlerche.

Faktor Erschließungskosten

„Es gab in der Tat Verzögerungen beim Grundstücksverkauf“, sagt Uwe Baumann vom Amt für Vermögen und Bau Baden-Württemberg auf Nachfrage unserer Zeitung. Einerseits habe die exakte Höhe der Erschließungskosten durch die Gemeinde Ketsch erst Mitte Dezember vergangenen Jahres beziffert werden können. „Das stellte für die Kaufinteressenten einen nicht unwesentlichen Faktor dar“, erklärt Baumann. Zeitlich wesentlich schwerwiegender habe sich jedoch das Auftreten der Haubenlerche ausgewirkt.

„Ehrenamtliche Naturschützer haben beobachtet, dass auf Teilen der Flächen des Gewerbegebiets sowie angrenzender Flächen die stark gefährdete und europarechtlich streng geschützte Vogelart zumindest Brutversuche unternommen hat“, sagt Uwe Baumann.

„21sportsgroup“-Bau verzögert

Die possierlichen Tiere hatten bereits den Bau der „21sportsgroup“ um Monate verzögert (wir berichteten mehrfach). Obwohl der Bauträger wie vorgeschrieben frühzeitig eine umwelt- und artenschutzrechtliche Einschätzung vorgelegt hatte – bei der die Vogelart nicht beobachtet worden war – und dadurch eine Baugenehmigung erhalten hatte, führte die spätere Sichtung der Haubenlerche zu Problemen.

Sondergenehmigungen und Ausgleichsflächen mussten her. Parallel rollten allerdings damals schon die Bagger im Bereich der Thüringer Straße, so dass immerhin diese Zufahrt ohne zeitliche Einschränkungen fertiggestellt werden konnte.

Seitdem hat sich im hinteren Zipfel des Gewerbegebiets allerdings nichts mehr getan – die zukünftigen Bauherren wollten verständlicherweise Probleme wie beim Bau des Logistikzentrums der „21sportsgroup“ vermeiden. Das Land zog Experten zu Rate, ließ naturschutzfachliche Gutachten erstellen und schuf Ausgleichsflächen – alles in der Hoffnung, dass der selten zu beobachtende Vogel ein paar Meter weiter ebenfalls passende Nistplätze finden kann. „Dies ist inzwischen alles positiv erfolgt, so dass einem Grundstücksverkauf aus unserer Sicht nichts mehr entgegensteht“, erklärt Uwe Baumann vom Amt für Vermögen und Bau Baden-Württemberg.

Zwei der Grundstücke seien bereits verkauft, für die restlichen gebe es Reservierungen. Das Land rechnet damit, dass sie innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate veräußert werden. Erst dann kann es mit den Bautätigkeiten losgehen. Auf Flächen zwischen 1500 und 4000 Quadratmetern werden sich Firmen aus der Gemeinde oder der nahen Umgebung ansiedeln.

Klassische Hallen mit Bürotrakten

Vorwiegend sollen klassische Hallen mit Bürotrakten entstehen. 50 Prozent der Grundstücksflächen dürfen dabei aus Umweltschutzgründen nicht versiegelt werden. Welche Betriebe genau gekauft oder reserviert haben, will das Land wegen des laufenden Verfahrens nicht sagen.

„Soweit es ansiedlungswillige Betriebe gab, die bereits in Ketsch ansässig sind, konnten diese weitgehend berücksichtigt werden. Vereinzelt gibt es auch interessierte Betriebe, die aus dem näheren Umfeld von Ketsch stammen“, so Uwe Baumann.

Die Haubenlerche

Die Haubenlerche (Galerida cristata) besitzt als markantes und namensgebendes Kennzeichen eine Federhaube auf ihrem Kopf.

Die Tiere werden im Schnitt rund 18 Zentimeter groß und rund 45 Gramm schwer. Ihr Gefieder ist dunkelgrau gestreift, ihre Unterseite weiß und im Bereich der Flügel rötlich.

Die Vogelart ist in weiten Teilen der Welt beheimatet, vor allem zwischen West- und Südwesteuropa bis nach Korea und ans Gelbe Meer. Als Lebensraum benötigt sie offenes trockenes Grasland, siedelt aber auch in Feld- und Randgebieten.

Da es immer weniger passende Brachflächen gibt – durch intensivere Landwirtschaft, aber auch durch verstärkte Renaturierung aus Umweltschutzgründen – ist ihre Verbreitung in Europa eingeschränkt.

Die europäische Population reduzierte sich ab 1980 um rund 98 Prozent. In Deutschland wird die Haubenlerche als „vom Aussterben bedroht“ auf der „Roten Liste“ geführt. beju

Freier Autor Freier Journalist für die Region Heidelberg, Mannheim und Rhein-Neckar. Zuvor Redakteur bei der Schwetzinger Zeitung, davor Volontariat beim Mannheimer Morgen. Neben dem Studium freie Mitarbeit und Praktika u.a. beim Mannheimer Morgen, der Süddeutschen Zeitung, dem SWR und der Heidelberger Studentenzeitung ruprecht.

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