Ketsch. Viele berühmte Besucher und Reisende der vergangenen Jahrhunderte gaben sich in Ketsch bei Buch und Manufakturwaren zwar nicht die sprichwörtliche Klinke in die Hand, sorgten aber mit ihren Erinnerungen an ihre Aufenthalte in der Kurpfalz für ein interessantes wie auch abwechslungsreiches literarisch-heimatkundliches Reisevergnügen.
Die beliebte Veranstaltungsreihe „Heute Abend bei Michelfelders“ bot dazu den passenden Anlass, sich in vergangene Zeiten zurückführen zu lassen. Mit dem Regionalhistoriker Dr. Otmar Geiger hätte Gabriele Hönig als Veranstalterin keinen besseren „Reiseführer“ für diesen verbalen Abendspaziergang finden können. Die Zuhörer im komplett besetzten Veranstaltungsraum waren bereits nach wenigen Worten fasziniert von der Erzählweise des erfahrenen Gästeführers und ehemaligen historischen Nachtwächters von Speyer. Gerne ließen sie sich in die einstige Landschaft an Rhein und Neckar entführen, die zwar so nahe, aber doch so ganz anders erschien.
Gleich zu Beginn seiner zweistündigen Ausführungen hatte Otmar Geiger mit einem Augenzwinkern daran erinnert, dass eigentlich nur die Pfalz der gottgegebene Garten Eden habe gewesen sein können. Die Beweisführung ließ die Anwesenden schmunzeln, vermittelte sie doch etwas von der deftigen Schlitzohrigkeit der frühen Pfälzer. Inzwischen in die heimische Mundart gewechselt, entstand dank der bildreichen Sprache des Referenten schnell für alle das Gefühl, zusammen mit Otmar Geiger zu einem Teil des Erzählten zu werden. So zog man mit den Salierkaiser in die Domstadt Speyer ein, begleitete den Philosophen Voltaire bei seinem Besuch in der kurpfälzischen Sommerresidenz Schwetzingen oder erlebte zusammen mit Achim von Arnim und Clemens von Brentano die Zeit der Heidelberger Romantik.
Im Laufe des Abends wurde sehr schnell deutlich, dass die Kurpfalz und ihre Städte an Rhein und Neckar schon immer ein wahres Traumziel für Dichter, Denker, Romantiker oder Weltenbummler war. In ihren Briefen, Tagebücher und Reisebeschreibungen sind bis ins 21. Jahrhundert Erinnerungen an eine Zeit erhalten geblieben, als die Menschen zumeist noch zu Fuß unterwegs waren, oder Kutschen und Fuhrwerke über die nur wenigen gepflasterten Straßen rumpelten.
Dank der von Geiger aus seiner umfangreichen Sammlung ausgewählten Geschichten, Anekdoten und Histörchen schienen die Dichtergrößen Goethe und Schiller für kurze Zeit wieder lebendig zu werden. Oder man begleitete Martin Luther auf seinem Weg von Heidelberg nach Speyer, das er aber wegen der fürstbischöflichen Ketscher Fähre, die der Reformator nicht betreten wollte, nicht erreichen sollte.
Einem Rätsel glich die Schilderung einer Wanderung des Dichters Joseph von Eichendorff von Heidelberg nach Speyer. Vor allem die in diesem Zusammenhang erwähnte „fast eine halbe Meile lange Sandwüste“ führte ob deren Lage zu einer intensiven Diskussion unter den Anwesenden, die aber letztendlich zu keiner eindeutigen Lösung den wahren Ort betreffend kamen. Einfacher war es da schon, mit dem späteren Berliner Hofprediger Emil Frommel im Altlußheim des 19. Jahrhunderts unterwegs zu sein oder mit Sisi, der österreichischen Kaiserin Elisabeth, durch die für sie romantischste Schlossruine in Heidelberg zu kriechen.
Mit lang anhaltendem Beifall bedankten sich die Zuhörer nicht nur bei Dr. Otmar Geiger für den kurzweiligen Ausflug in ein besonderes Stück Heimatgeschichte, sondern auch bei Gabriele Hönig von Buch und Manufakturwaren für den passend zum Thema angebotenen kulinarischen Reiseproviant. Mit dem gemeinsam gesungenen Volkslied „Kein schöner Land in dieser Zeit“ klang der Abend stimmungsvoll aus, der, so waren sich die Anwesenden einig, unbedingt eine Fortsetzung finden sollte.
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