Neulußheim. Auf allen Bildern, die Jesus darstellen, trägt er längere Haare, hat einen Bart und ist weiß. Warum? „So wie überall gibt es auch in den Kirchen rassistische Strukturen, weil wir alle entsprechende Denkweisen in uns tragen“, darauf wies die Theologin Sarah Vecera am Samstagabend beim Nachtcafé im evangelischen Gemeindehaus hin.
Schon die schlichte wie auch komplexe Frage im Titel ihres kürzlich in der Verlagsgruppe Patmos erschienenen Buchs „Wie ist Jesus weiß geworden?“ zeigt auf, dass auch die Kirche ein Rassismusproblem hat.
Diesem Problem wollte sich das vierte Nachtcafé nähern und der Art und Weise, wie sich Sarah Vecera, selbst Person of Color, damit auseinandersetzt. „Heute Abend haben wir ein besonderes Thema und einen besonderen Gast“, so Kirchengemeinderätin Hannelore Schneider in ihrer Begrüßung. „Es ist einfach schön, dass so viele Gäste gekommen sind“, freute sie sich zudem über die zahlreichen Besucher. „Ich habe das Buch gelesen und ich fand es sehr spannend zu erfahren, was alles unter Rassismus zu verstehen ist“, sagte sie, „es ist sicher gut sich da Gedanken zu machen und ein bisschen sensibilisiert zu werden für das Thema.“
Dass Sarah Vecera, auf deren Liste große Städte wie München, Heilbronn oder Ulm für Lesungen stehen, noch Zeit gefunden hat, nach Neulußheim zu kommen, „das ehrt uns sehr“, betonte Schneider. Zu verdanken sei dies der jahrelangen Freundschaft mit der Pfarrerin Katharina Garben, die mit der Autorin vor der eigentlichen Lesung ein kurzes Interview führte.
Alltagsrassismus erlebt
Eröffnet wurde der Abend von zwei jungen Musikern am Horn, Catharina Misch und Oskar Szathmáry, die sich für den Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ vorbereiten. Gruppiert um kleine Tische lenkte das Publikum anschließend seine Aufmerksamkeit den Ausführungen der Autorin zu, die sich zunächst kurz vorstellte: Geboren sei sie in Oberhausen und im Ruhrgebiet aufgewachsen. Nach dem Abitur machte sie einen Freiwilligendienst in Tansania und studierte danach Theologie, Sozialpädagogik und Religionspädagogik in Kassel und Bochum. Im Herbst 2021 wurde sie für sechs Jahre in das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags gewählt.
In ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden?“ nimmt sie Rassismus in der Kirche in den Blick und verdeutlicht diesen anhand zahlreicher biografischer Erfahrungen in Kapiteln wie „Über mich“, „Mein Migrationshintergrund“, „Rassismus in Deutschland“ und schließlich dem letzten, dem hoffnungsvolleren „Der Blick nach vorn“, aus denen sie Passagen vorlas. Rassismus verband sie zunächst mit der Nazizeit, erzählte sie, oder mit Rechtsextremismus, mit Menschen, die Springerstiefel tragen, das habe nichts mit ihr zu tun. Doch da irrte sie sich. „Was ich erlebt habe“, sagte sie, „war nicht physische Gewalt, es war der Alltagsrassismus, der mir widerfahren ist.“
Als „Person of Color“ bezeichnet sie Menschen, die nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern ihrer ethnischen Zuschreibung von Rassismus betroffen sind und dadurch Benachteiligung erfahren. Im Buch schildert Vecera, wie ihr deutscher Geburtsort, ihre guten Manieren, ihre Liebe zur deutschen Kultur, zu Bratkartoffeln und deutschen Schlagern nichts genutzt haben, sie nicht als jemand mit „Migrationshintergrund“ zu bezeichnen.
Neue Kinderbibel erscheint
Das gelte auch für die Kirche, die ihr seit ihrer Kindheit viel bedeute. Weiße Theologen haben das Gottesbild geprägt, auch bei ihr selbst, wie sie betont. Doch Kirche ist für alle Menschen da, für lesbische, bisexuelle, schwule oder behinderte.
In der Zeit der Aufklärung hat die Kirche maßgeblich dazu beigetragen, die Menschen in Rassen einzuteilen. Werte der Aufklärung wie Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit galten für die Weißen, das gab ihnen die Legitimation, andere Völker, ihrer Ansicht nach minderwertigere, kolonial auszubeuten oder zu versklaven.
Wichtig sei, so die Autorin, Vorurteile gar nicht erst entstehen zu lassen. Das soll mit der neuen „Alle Kinder Bibel“ erreicht werden, die eben erscheint. Die Bibelgeschichten darin werden so erzählt, dass sich Kinder mit unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründen identifizieren können.
Aus den Passagen ihres Buches „Wie ist Jesus weiß geworden?“ wurde ersichtlich, wie gründlich und feinfühlig Autorin Sarah Vecera rassistische Narrative und Strukturen innerhalb der Kirche freilegt und wie sehr sie sich eine Kirche, aber auch eine Gesellschaft ohne Rassismus wünscht.
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