Oftersheim. Wer die Zukunft verstehen will, muss meist in der Vergangenheit blättern. Wir fangen mit der Gegenwart an und hangeln uns mit einer Auswahl an Themen zurück, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Der Blickwinkel ist der einer 12 500 Einwohner zählenden Gemeinde inmitten der Kurpfalz, in der sich einiges bewegt hat.
Vor Kurzem lässt der Zweckverband High-Speed-Netz Rhein-Neckar verlautbaren, dass der Gewerbepark und die beiden Grundschulen bis Ende 2023 an eine gigabitfähige Breitbandversorgung angeschlossen werden. „Jetzt tut sich was“, sagt Bürgermeister Pascal Seidel beim „geheimen“ Spatenstich zum Glasfaserausbau.
Jahresrückblick Oftersheim 2022: Ein Klimaschutzmanager für "Ofdasche"
Das digitale Netz der Zukunft kann also kommen, die Förderung dafür ist gebongt. Da passt es ins Bild, dass Anfang Dezember mit Martin Hirning ein Klimaschutzmanager seine neue, zunächst befristete Stelle antritt. Der Mann aus Schönau im Odenwald lebt das – und wird zunächst Grundlagenermittlungen durchführen. „Ofdasche“ wird einen Energiesteckbrief erstellen – anlässlich der Potenzialanalyse Erneuerbare Energien für den Rhein-Neckar-Kreis.
Tops und Flops 2022
Tops
- Bürgermeisterwahl: Geiß zeigt sich als fairer Verlierer.
- Jubiläum: Die HG Oftersheim/Schwetzingen wird 25 Jahre alt.
- Rettungszentrum: Ein neuer Gebäudekomplex verbessert die Struktur der Gemeinde.
- Resolution des Gemeinderates: Alle internen Schwächen werden am 28. Juli öffentlich.
Flops
- Kurpfalzhalle: Sie wird zur Roland-Seidel-Halle. Selbst der Ehrenbürger ist erstaunt.
- Seniorenweihnachtsfeier: Man muss sie absagen – für die Senioren ist das schade.
- Resolution des Gemeinderates: „Grätsche“ gegen Geiß.
Der November kann mit dem wunderbaren, stimmungsvollen Weihnachtsmarkt des Heimat- und Kulturkreises abgeschlossen werden. Davor steht die dunkler werdende Jahreszeit im Licht des neuen Bürgermeisters. Dreimal Gemeinderat, inklusive der feierlich-offiziellen Amtseinführung, Schlüsselübergabe von Vorgänger Jens Geiß, Schlüsselabgabe an die Narrenzunft, ihre Lieblichkeit Sina II., die ihre Regentschaft an Prinzessin Julia II. weitergibt, Volkstrauertag und St. Martinsumzug, noch dazu Seidels 40. Geburtstag am 18. November, den er im Museumshof feiert. Atemlos – ein Ereignis jagt das nächste.
Kaum weniger turbulent ist es im Oktober: Geiß wird würdig verabschiedet, führt davor Seidel in die Amtsgeschäfte ein. Schön auch: Das ewige Jugendzentrum (Juz) wird 40 – feiert absolut locker und megacool mit Alt und Jung. Und endlich wieder Kerwe mit den Kerweborscht, den Böhmerwäldlern, der Schlumpel Sabinchen sowie einem beim Fassbieranstich in die Brüche gegangenen Hammer. Ein stabileres Exemplar steht nun im Bürgermeisterbüro. Für erfolgreichere Einsätze.
Im September steigt die Bürgermeisterwahl. Die lokale Politprominenz jubelt mit Seidel und zeigt zugleich Mitgefühl mit Geiß. Im neuen Rettungszentrum liegt ein eindeutiges Bürgervotum vor, das sich die Woche zuvor bei der Kandidatenvorstellung abzeichnet. Casting mit Livestream, aber ohne „Politclown“ Samuel Speitelsbach.
Die Sommerferien prägen den August. Alarmzeichen aus dem vertrockneten Oftersheimer Wald, überfällige Bauarbeiten an den Schulen, der Startschuss für den evangelischen Pfarrer Dr. Simon Layer und das Carsharing-Auto von Stadtmobil – nicht so schlecht.
Jahresrückblick Oftersheim 2022: Ein Feiervolk, diese Oftersheimer
Es menschelt im Juli. Die 100. Geburtstage von Erica Biajolan und Martha Schwarz, Ursula und Ernst Kuppelmaier haben Gnadenhochzeit (unvorstellbare 70 Jahre), und ein fulminantes Ortsmittefest zieht 2 000 Leute an. Ein Feiervolk, diese Oftersheimer.
Im Juni wird die Herzschlagader Mannheimer Straße eröffnet. Nach 14 Monaten Bau und Kosten von 2,4 Millionen Euro. Über der Bahn geht’s weiter – mit Ärger und Verdruss, Irritationen und Protesten der Bürgerschaft. Der Gemeinderat entscheidet, dass das neue Feuerwehrhaus Rettungszentrum heißt. Für die Floriansjünger ein Graus.
Wonnevoller geht’s im Mai zu. Das diesjährige Stadtradeln sorgt für prima Klima. Über 180 Pedaleure erstrampeln knapp 39 000 Kilometer binnen drei Wochen. Im Rathaus weiß unterdessen niemand über diese tolle Aktion Bescheid. Seltsam. Beim ersten HardtRun herrscht Freude über den schattigen Kurs, aber auch Wassermangel im Zielbereich. Skurril. Und das Gemeindemuseum öffnet wieder mit neuen Ausstellungsbereichen zur Ortsgeschichte. Originale Pulte und Bänke in der „Schulstub“ – zum Hinsetzen. Großartig, authentisch und über 100 Jahre alt.
Jahresrückblick Oftersheim 2022: Protest gegen die Eisenbahn- und Güterverkehrstrasse
April, April, der weiß nicht was er will, heißt es. Viele Bürger hingegen wissen es ziemlich genau und vereinigen sich vor dem Rathaus Oftersheim. Die „Bürgerinitiative Plankstadt und angrenzende Gemeinden“ (BiP) wehrt sich gegen den geplanten Neubau der Eisenbahn- und Güterverkehrstrasse zwischen Mannheim und Karlsruhe. Plakataktionen, Gedankenaustausch, Informationsveranstaltungen, Proteste – die Deutsche Bahn ohne Fahrplan? Es bleibt ein Aufregerthema in hiesigen Gefilden. Zurecht.
Bürgermeisterwahl in Oftersheim: Der Showdown
Am Anfang steht ein Kompliment. Für zwei Bürgermeisterkandidaten, die sich trotz aller Unterschiede, Widrigkeiten, Zwischentöne und Einflussnahmen sportlich fair wie Wettkämpfer verhalten haben. Bis zu den allerletzten Sekunden eines Monate andauernden Oftersheimer Wahlkampfes, als die Tränen im großen Saal des Rettungszentrums nur so fließen. Vor lauter Freude – und auch vor lauter Trauer.
Dann steht es am Sonntagabend, 18. September, endgültig fest. Der Herausforderer Pascal Seidel hat die Wahl mit 64,09 Prozent der Stimmen sehr deutlich für sich entschieden. Die 35,27 Prozent für den Amtsinhaber Jens Geiß fühlen sich hingegen wie eine große Enttäuschung an. Die Deutlichkeit des Resultats überrascht dabei trotz Vorabvermutung viele Menschen in der Gemeinde und der Region.
Schwerer Wirkungstreffer
Oder doch nicht? CDU-Mann Geiß muss im Vorfeld der Bürgermeisterwahl einen schweren Wirkungstreffer wegstecken. Die Resolution aller 22 Gemeinderäte, die am Abend des 28. Juli diese Redaktion erreicht, gleicht einer öffentlichen Abrechnung mit Jens Geiß, ohne dass in diesem Schreiben ein einziges Mal explizit sein Name fällt. Damit ist jedem neutralen Beobachter klar: Das Vertrauen zwischen Verwaltungschef und Räten aus fünf Parteien ist erschüttert, das Verhältnis zerrüttet. Der parteilose Seidel verhält sich klug – und hält sich aus dem von anderen angezettelten „Scharmützel“ heraus. Er setzt auf seine politischen Inhalte, seine Verwaltungserfahrung aus Schwetzingen, seine den Bürgern zugewandte Art.
Der kommunale Showdown ist vorbei, der Erwartungshorizont an Seidel hoch. Er weiß es haargenau. „Ich muss alle mitnehmen – die Bürger, den Gemeinderat, die Mitarbeiter der Verwaltung“, sagt Pragmatiker Seidel am Tag danach dem Chronisten dieser Wahl.
Die Frage, welche Auswirkungen und Folgen der Ukrainekrieg auf den Oftersheimer Haushalt haben wird, beschäftigt die Räte bei ihrer Sitzung. Die Meinungen gehen diametral auseinander. Die Kritik an Bürgermeister Jens Geiß wird lauter: Bemängelt werden Kommunikation, Umsetzung von Projekten, Digitalisierung auf Steinzeitniveau, wie es ein Fraktionsmitglied überspitzt formuliert, sowie mangelhafter Klimaschutz. Klasse: Eine Spendensammlung für die vom Krieg Betroffenen, initiiert von Integrationsbüro und Asylkreis, ermöglicht Soforthilfe.
Februar und Januar bestehen aus Ankündigungen. Pascal Seidel macht öffentlich, dass er als Bürgermeister kandidiert. Eppelheim, Plankstadt und Oftersheim sagen Nein zur Bahntrasse – sogleich Ja zum Schutz von Mensch, Natur und Landschaft. In der ersten Gemeinderatssitzung des Jahres verabschiedet Geiß einen, der 53 Jahre lang dem Gemeinderat angehört. Roland Seidel und seine Frau Gisela staunen ungläubig, als ein Banner enthüllt wird: „Roland-Seidel-Halle“ steht darauf. Die gute, alte Kurpfalzhalle soll plötzlich Geschichte sein?
2022 gibt es kein emotionaleres Thema. Wir behaupten: Die Rolle rückwärts kommt! In naher Zukunft, erwachsen aus der Vergangenheit.
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