Tag zur Beseitigung von Armut

Jung und in der Schuldenfalle: Ein Eppelheimer berichtet

Internationaler Tag zur Beseitigung von Armut: Armut bei Kindern in Deutschland steigt trotz staatlicher Hilfsangebote. Ein betroffener junger Erwachsener berichtet von seinen Erfahrungen und Herausforderungen im Kampf gegen Armut.

Von 
Noah Eschwey
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Leere Taschen – für immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene ist das ein trauriges Schicksal. © Freepik

Eppelheim. Seit 1992 widmet sich die Welt an diesem 17. Oktober einem ganz bestimmten Thema – es ist nämlich der internationale Tag zur Beseitigung von Armut. Eine Aktion, die den Betroffenen Verhör schaffen soll, um finanziell begründete Gräben zwischen den Gesellschaftsschichten abzubauen.

Doch dieser Tag lädt auch ein auf eine Gruppe in der Bevölkerung zu schauen. Auf diejenigen, denen die Armut schon in die Wiege gelegt ist – denn gerade die Überwindung von Armut ist nach wie vor eine generationsübergreifende Herausforderung. Bei Betrachtung der Kinder in Deutschland, die unter der Armut ihrer Familie leiden, zeigt sich ein erschütterndes Bild. Laut der Datenerhebung von Statista ist die Armutsgefährdungsquote von Kindern in Deutschland seit 2005 bis 2022 um etwas mehr als zwei Prozentpunkte gestiegen, von 19,5 auf 21, 6 Prozent – und das trotz des erklärten Ziels der Beseitigung von Armut.

Staatliche Hilfsangebote für arme Kinder: Hindernisse und Wirkungsweise

Um den von Armut betroffenen Kindern den Weg ins Leben leichter zu machen, gibt es jede Menge staatliche Hilfsangebote – angefangen mit Kinderzuschlag und Wohngeld, bis hin zur Studentenförderung BAföG. Doch warum ist es trotzdem schwer, die Armut der eigenen Eltern hinter sich zu lassen? Wie funktionieren die staatlichen Hilfssysteme? Und warum fühlen sich Betroffene trotz der Angebote abgehängt?

Um diese Fragen zu beantworten, äußerte sich ein Betroffener (21) aus Eppelheim gegenüber dieser Zeitung. Damit Stigmatisierung und Vorurteile vermieden werden, wird der Betroffene im Folgenden Patrick Hartmann genannt, der korrekte und vollständige Name von Hartmann liegt dieser Zeitung vor.

Herr Hartmann (Name geändert), können Sie uns bitte Ihren bisherigen Lebenslauf skizzieren?

Hartmann: Ich bin in Niedersachsen aufgewachsen, nahe am Meer. Mein Vater hat uns ein Haus gebaut, sich aber so verschuldet, dass wir es – als ich sechs Jahre alt war – verlassen mussten. Es wurde verpfändet. Daraufhin sind wir in eine Kleinstadt gezogen. In der Wohnung waren sehr kleine Kinderzimmer und meine Mutter zog meinen Bruder und mich alleine auf. Sie arbeitete zwar jeden Tag bis 19 Uhr, verdiente aber als Sozialpädagogin so wenig, dass wir, als ich zwölf Jahre alt war, wieder umziehen mussten. Die Miete war einfach zu hoch. Trotz der Umzüge und den Geldsorgen schaffte ich es, ein gutes Abitur zu machen und wollte nach Heidelberg ziehen, um dort zu studieren. Es war ein großes Abenteuer – ein Umzug durch ganz Deutschland ohne irgendwelche finanziellen Rücklagen. Die Mieten in Heidelberg waren zu teuer für mich, also bin ich nach Eppelheim gezogen. Ich habe BAföG bezogen, um irgendwie um die Runden zu kommen.

Sorgt BAföG aus Ihrer Sicht für Chancengleichheit der Studierenden?

Hartmann: Nun ja, das Konzept und Prinzip von BAföG ist sicherlich gut. Allerdings ist das ein furchtbarer Hürdenlauf. Zunächst zieht man vor dem Amt komplett blank. Ich dachte, ich hätte alle Dokumente eingereicht, auf denen jemals mein Name stand, und trotzdem fehlte immer irgendeine Auskunft, weswegen sich die Zahlung verzögerte. Da passiert es dann schon schnell, dass ein junger Mensch, gerade erst volljährig, erst einmal ins finanzielle Minus rutscht. Dann werden die Zahlungen wegen allem möglichen verringert. Ich habe zum Beispiel 300 Euro weniger bekommen, weil mein Bruder in der Ausbildung war. Natürlich frage ich mich schon, wie er bei einem Ausbildungsgehalt von 800 Euro mich mit 300 Euro unterstützen soll. Dann kommt es zur Inflation und alle Preise steigen, BAföG aber nicht. Da läuft einfach viel falsch. Wegen der vielen Probleme und dem sozialen Druck, der sich durch Geldsorgen ergibt, habe ich dann meine Orientierungsprüfung verhauen und musste mein Studium abbrechen. Wenn das erste Studium für Empfänger von finanziellen Hilfen nicht klappt, wird es noch viel schwerer BAföG je wieder zu bekommen.

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Sie haben sich entschieden, nun arbeiten zu gehen. Hat sich dadurch Ihre finanzielle Lage verbessert?

Hartmann: Ich arbeite in der Gastronomie und verdiene Mindestlohn. Obwohl ich nur ein kleines Zimmer in einer Wohngemeinschaft in Eppelheim bewohne, zahle ich ungefähr 500 Euro Miete. Dazu kommt ein Handyvertrag, Abonnements und Konsum von Lebensmitteln. In einem guten Monat verdiene ich 1400 Euro. Das ist dann bei der Mitte des Monats so gut wie weg. Dazu trage ich Schulden mit mir rum. Ich musste mir oft Geld leihen, dann das zurückzahlen und wieder Geld leihen. Manchmal leihe ich Geld um Schulden zu begleichen. Meine Situation wurde folglich leichter, ohne das Studium. Gut geht es mir finanziell aber nicht.

Wie gehen Sie damit um, wenn das Konto leer ist?

Hartmann: Not macht erfinderisch. Ich sammle Pfand, lebe so sparsam, wie es nur geht, und esse nur eine Mahlzeit am Tag. Ist es ganz schlimm, leihe ich mir Geld von Freunden, was ich aber hasse, weil ich mich sehr schäme.

Kinder von Eltern, die von Armut betroffen sind, landen statistisch gesehen auch öfters in ärmlichen Verhältnissen. Können Sie das bestätigen?

Hartmann: Absolut, denn das ist ja auch logisch. Erstens ist das schon psychologisch klar, man übernimmt die Denk- und Verhaltensmuster der Eltern. Wir hatten teilweise weder Strom noch Wasser zu Hause, da kann man sich nicht auf den Lebensweg konzentrieren, den man eigentlich gehen möchte. Dazu kommt noch, dass das soziale Raster einen nicht ganz trägt und man so nie die gleichen Chancen hat, wie alle anderen. Ohne Freunde, die mir den Eintritt bezahlen, könnte ich nichtmal am sozialen Leben teilnehmen. Da geht viel verloren, was für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung notwendig wäre. Ohne diese ist es dann erst recht schwer sozial aufzusteigen.

Was kann denn getan werden, um insbesondere junge Menschen, die von Armut betroffen sind, zu unterstützen?

Hartmann: Alles muss schneller gehen. Sozialleistungen müssen schneller und vor allem deutlich stärker an die Realsituation angepasst werden. Mit leerem Magen ist es einfacher Pfand zu sammeln und unter der Brücke zu schlafen, als hunderte Dokumente auszufüllen und vier Wochen lang auf die entsprechend Bewilligung des Antrags zu warten. Außerdem sollte die Gesellschaft endlich die Augen öffnen. Jeder Dritte ist von der Armut bedroht. Das muss einfach in den Köpfen ankommen!

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