Geschichte und Geschichten

Der erste Schultag und seine Veränderungen im Laufe der Jahre

Unser Autor erinnert an die Besonderheiten von anno dazumal in Bezug auf den Start in den „Ernst des Lebens“. Wir beleuchten Traditionen, Unterschiede in den Bundesländern und den Wandel von Schulanfangsfeiern im Laufe der Zeit.

Von 
Ulrich Kobelke
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So sah der erste Schultag 1954 aus. © Archiv Kobelke

Plankstadt. Der Unterricht hat nach den Sommerferien wieder begonnen, auch in Plankstadt. Eine gute Gelegenheit, sich Gedanken zu machen, wie das denn früher so war, als man selbst oder andere Vorfahren in die Schule kamen. Besonders dann, wenn heute in der Familie ein Kind ist, für das nun der sogenannte „Ernst des Lebens“ beginnt und die Kindergartenzeit endet. Damit die Schulzeit für das Kind eine schöne und glückliche Lebensspanne wird, sollte man vielleicht allzu ernste Hinweise auf diesen „Lebensernst“ vermeiden. Denn gerade die Grundschulzeit ist prägend für das weitere schulische Leben und ob ein Kind gerne in die Schule geht oder eher nicht.

Erste fragende Gedanken kommen, wenn man die Briefe liest, die heutzutage Kinder von den aufnehmenden Schulen bekommen und in denen aufgelistet ist, was sie alles benötigen, wenn sie ihren Schulalltag beginnen. Zwei Seiten mit Auflistungen über Hefte, Heftarten, Umschläge und ihre Farben, Schreib- und Malutensilien und man kann sich leicht vorstellen, dass manche Eltern da schon etwas überfordert sein können, wenn sie Materialien im DIN A5- , DIN A4- und DIN A3-Format mit den Typenbezeichnungen 0, 7 oder 20, mit oder ohne Rand, mit großen oder kleinen Karos oder mit bestimmter Lineatur besorgen müssen, dazu natürlich die passenden farbigen Umschläge, dazu noch weitere diverse Schreib- und Malutensilien – denn es ist ja klar, dass Eltern ihr Kind gut und vor allem richtig ausgestattet der Schule und den Lehrern übergeben wollen.

Der Einkauf von Schulmaterial in Plankstadt

Ging man früher zum Einkauf von Schulmaterial in Plankstadt zum Ernst Helfrich, zur Anna Wacker, zur Lydia Pietsch oder zum Uli Geiss, so gibt es diese kleinen Anlaufstellen heute längst nicht mehr und die kleinen Schreibwarengeschäfte wären mit der unterschiedlichen Materialfülle auch hoffnungslos überfordert. Lediglich Conny Schmitt im C-Fashion bietet den Eltern an, ihre Erstklass-Utensilien gemäß den Schulwünschen zusammenzustellen. Sonst bleiben nur die Supermärkte, die Kaufhäuser, die Discounter oder die großen Drogeriemärkte – vielleicht auch das Internet, die sich in der Zeit des Schulbeginns darauf spezialisiert haben, alle Lehrer- und Elternwünsche zu erfüllen.

1984 ging man so zum ersten Schultag. © Archiv Kobelke

Schaut man sich in diesen Einkaufsstätten gegen Ende der Sommerferien um und sieht die genervten Mütter und Väter und die quengelnden Fast-Erstklässler, dann fragt man sich, warum die Schulen gerade für die neuen Schulanfänger nicht selbst Startersets mit allen Utensilien zusammenstellen und die Eltern zahlen dafür eine Pauschalsumme. Das würde sicher so manche Situation in Familie und Supermarkt entspannen und einen ruhigeren Schulbeginn sichern, wo dann im Klassenzimmer auch alle tatsächlich die gleichen und richtigen Materialien hätten. Viele Dinge wurden natürlich für die Schulanfänger nervenschonend schon im Vorfeld beschafft – dazu gehören Schultaschen, Kleidung und vor allem die Schultüte.

Woher kommt die Schultüte?

Und natürlich stellt sich auch die Frage, woher der Brauch stammt, den Schulanfängern Schultüten mit Süßigkeiten, Utensilien oder kleinen Spielsachen zu ihrem ersten Schultag zu schenken. Bei der Recherche stößt man auf erste Belege aus dem mitteldeutschen Raum, die sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückdatieren lassen. Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt waren die ersten Verbreitungsgebiete. Eine sehr gewagte Hypothese nennt der württembergische Landesrabbiner Wurmser die Erklärung, der Brauch würde sich auf einen alten jüdischen Brauch zurückführen lassen, wonach den jungen jüdischen Kindern süßes Buchstabengebäck geschenkt wurde als Hinweis auf einen Vers aus dem Psalm 119, bevor sie mit dem Tora-Lernen begannen. Wie gesagt, eine gewagte Hypothese und wenig wahrscheinlich.

Mancherorts legte man großen Wert auf den Erhalt dieses Brauchtumselement, manchmal zwangen auch äußere Umstände auf eine Fasteinstellung. Gerade um die beiden Weltkriege herum waren oft gar nicht genügend Sachen vorhanden, mit denen man die Tüten hätte füllen können. Bei der ärmeren Bevölkerung wurde der untere Teil der Tüte einfach mit Papier oder Holzwolle ausgestopft, um den kleineren oberen Teil mit etwas füllen zu können.

1989 – auch da gab es tolle Schultüten. © Archiv Kobelke

Heute, wo es den meisten Menschen wirtschaftlich besser geht, wird manchmal maßlos übertrieben, um den Schulanfang gebührend zu begehen. In über 40 Dienstjahren mit Einschulungsfeiern hat der Autor dieser Zeilen genügend Änderungen in der Einstellung bei den Eltern erlebt.

Wenn wir heute erleben, zu welchem gewaltigen Event der erste Schultag aufgebläht wird, kann man nur den Kopf schütteln. Bei vielen steht der Tag fast schon gleichwertig neben Erstkommunion und Konfirmation, besonders in unserer säkularisierten Zeit, wo religiöse Festtage in der Familie mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Gaststätten werden lange vorher für die Familienfeiern gebucht, die ganze Verwandtschaft aus nah und fern reist an und der Erstklässler steht im Mittelpunkt des Geschehens, wie es vielleicht im Islam nur noch bei den Beschneidungsfeiern der Buben zu sehen ist.

Bei den von den Schulen veranstalteten Einschulungsfeiern platzen die Schulturnhallen aus allen Nähten, denn selbstverständlich möchte die ganze Verwandtschaft von Urahne, Großmutter, Mutter und Kind an diesem Ereignis teilhaben. Und was ist mit denen, denen es vielleicht wirtschaftlich nicht so gut geht? Es gibt Städte, in denen schon Vereine zum Spendensammeln gegründet wurden, um allen Kindern, auch ärmeren und solchen mit Migrationshintergrund, denen der Brauch völlig fremd ist, eine gefüllte Schultüte überreichen zu können.

Nach dem Krieg in den 1950er Jahren kannte man in den Schulen keine Einschulungsfeiern. Man wurde mit seiner Tüte und dem Bücherranzen, der Schiefertafel, Schwamm und Griffelkasten enthielt, zur Schule gebracht und dort dem Klassenlehrer übergeben. Vielleicht wurde man, wenn man Glück hatte, in den ersten Tagen wieder von der Mutter oder der Oma abgeholt, aber das war es dann auch. Irgendwie waren die Kinder damals schon früh selbstständiger und die Eltern trauten ihnen zu, dass sie auch allein zurechtkamen und wieder nach Hause fanden.

Ein Blick auf 1991. © Kobelke

Richtungen werden vorgegeben

Zweifellos ist der Übergang zur Schule ein Wendepunkt im Leben des Kindes und manchmal auch der Familie. Schulen werden schon nach Kriterien herausgesucht und beurteilt, die haarsträubend sind – und dabei schon jetzt das Schulziel Abitur fest im Blick. Beurteilt werden: Übergangsquote zum Gymnasium, Anzahl der Schüler mit Migrationshintergrund, Ausstattung der Schulen, Bevorzugung von Wohnvierteln und anderes mehr. Man fragt sich, ob hier nicht schon vom Elternhaus Ansätze zur späteren Diskriminierung von Menschen in die kleinen Schulanfänger eingepflanzt werden,die sich später vielleicht unheilvoll auswirken, denn die Kinder bekommen die Gespräche daheim ja auch mit und verinnerlichen schon so manches.

Interessant ist auch der Umstand, dass es bei den Schultüten Unterschiede zwischen der ehemaligen DDR und den westdeutschen Bundesländern gab. So waren beispielsweise in der DDR die Schultüten zumeist sechseckig und 85 Zentimeter lang, im Westen waren sie rund und zirka 70 Zentimeter lang. Heute ist es auch üblich, dass die Tüten von den Eltern selbst gebastelt und mit Motiven beklebt werden – bei vielen Familien ist es verpönt industriell gefertigte Tüten zu erwerben.

Waren es früher die Paten, die die Schultüten überreichten, so kommen sie heute meist von den Eltern. Im katholischen Süden und Südwesten setzte sich der aus dem protestantischen Mitteldeutschland stammende Brauch der Schultüte erst später durch, ebenso in Österreich. In der Schweiz sieht man die Schultüten eher selten.

Freier Autor

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