Plankstadt. Den öffentlichen Diskurs dominieren genau zwei Umweltprobleme: der Klimawandel und der Verlust an Artenvielfalt. Aus dem Blick gerät dabei aber ein Problem, das die Welt ebenfalls ziemlich aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Kunststoffmüll und hier vor allem das Mikroplastik, so der Staatssekretär im baden-württembergischen Umweltministerium, Dr. Andre Baumann, im Verlauf eines Vortrages für die Lokale Agenda, sei eines der unterschätztesten Umweltprobleme.
Problematisch auch, weil die Auswirkungen bis dato noch weitgehend unklar seien. Sicher scheint, dass gerade Mikroplastik in den Böden die Mikroorganismen schädigen könne und damit auch die Böden in Mitleidenschaft gezogen würden. Über die Böden wiederum gelange das Mikroplastik in die Nahrungskette und schlussendlich auch in den Menschen. Erste Untersuchungen deuten laut Baumann darauf hin, dass es keinen Menschen mehr ohne Kunststoffteilchen im Körper gibt. Was genau hier passiere, sei wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Als relativ gesichert dürfe gelten, dass Mikroplastik hormonell wirke und die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen negativ beeinflusse.
Das „Zeug“, so Baumann in der Vereinsgaststätte der TSG Eintracht „Eviva“ vor knapp einem Dutzend Zuhörer, fände sich heute überall. Vom Marianengraben im westlichen pazifischen Ozean – der mit 11 000 Metern tiefsten Stelle in den Weltmeeren – bis zu den entferntesten Punkten in der Arktis und Antarktis fände sich Mikroplastik. Wissenschaftliche Studien bei Blauwalen hätten ergeben, dass diese bei der Nahrungsaufnahme pro Tag bis zu zehn Millionen Plastikteilchen mit aufnehmen.
Weltweit, so eine Untersuchung der UN-Welternährungsorganisation (FAO), gebe es keine Äcker, in deren Erde sich kein Mikroplastik wiederfände. Die Hauptquelle liegt, so Baumann, an einer unvermuteten Stelle: Das meiste Mikroplastik stammt vom Abrieb der Auto- und Lastwagenreifen. Heißt im Umkehrschluss, weniger Autofahren hilft nicht nur dem Klima mit weniger CO2, sondern auch den Böden und Meeren mit weniger Mikroplastik. Weitere Quellen sind Plastik in der Natur, der mit der Zeit in immer kleinere Teile zerfällt, und die Böden damit weitflächig verschmutzt.
Nun war es nicht so, dass Andre Baumann den Kunststoff an sich verteufelte. Ganz im Gegenteil, sei Kunststoff doch in ganz vielen Bereichenwirklich ein wahrer Segen. Allein in der modernen Medizin sei Kunststoff nicht wegzudenken. Klar, der Plastikverbrauch müsse sinken, in dieser Hinsicht seien die Einschränkungen beim To-go zu begrüßen. Ändern müsse sich dagegen der Umgang mit Kunststoff. Ganz oben stünde die Abfallvermeidung. Plastik sollte nur genutzt werden, wenn es nicht anders geht.
Als nächstes steht in den Augen Baumanns die Wiederverwendung. Gerade Kunststoff eigne sich dafür hervorragend. Als nächstes käme dann das Recycling und ganz am Schluss, wenn nichts anderes mehr geht, der Müll. Wobei Letzteres vor allem in der thermischen Nutzung bestehe, also der Verbrennung.
Blicks auf Gesamtbild
Um das Problem in den Griff zu bekommen, müsse der Produktkreislauf als Ganzes gesehen werden. Schon wenn eine Produktidee entsteht, sollte über das Ende nachgedacht werden. Der Fachbegriff lautet hier „Ökodesign“. Also das Produkt so entwickeln, dass es möglichst lange genutzt und dann auch einfach recycelt werden kann. So könnte die jährliche Produktion von Kunststoff verringert werden. Weltweit würden Jahr für Jahr rund 390 Millionen Tonnen Kunststoff hergestellt. In der EU sind es rund 57 Millionen Tonnen. „Tendenz leicht fallend“, so Baumann.
Der EU gab der Staatssekretär eine ziemlich gute Note. Schaffe sie doch europaweit Regeln, wie das Plastiktütenverbot, die der Kunststoffflut Einhalt gebieten. Notwendig sei auch das Erhöhen der Recyclingquote. Problematisch sei hier, dass recycelter Kunststoff bislang noch teurer sei als neuer Kunststoff. Mit einem steigenden CO2-Preis könnte sich das ändern, werde dann doch das Rohöl, der Grundstoff für die Kunststoffproduktion, teurer.
Keine Frage ist für Baumann zudem, dass der Staat regulierend eingreifen müsse. Der Markt sei für die Sphäre des Sozialen und der Ökologie blind, sodass die Politik einwirken müsse. Was übrigens oft auch im Interesse der Wirtschaft sei. In Gesprächen mit der Wirtschaft begegneten Baumann jedenfalls immer wieder Forderungen in Richtung mehr Umweltschutz mit klaren Rahmendaten und das möglichst europaweit.
Die Zuhörer um Winfrid Wolf, einer der Lokale-Agenda-Sprecher, zielten am Ende vor allem auf die Verantwortung des Einzelnen. Wenn jeder auf Plastik verzichte, wo es nur gehe, sei schon einiges erreicht. Gerade beim To-go, so Bürgermeister Nils Drescher, sei da noch ziemlich viel Luft nach oben. Meistens sehe er To-go-Verpackungen, die nach wie vor weggeworfen würden. Am Ende, so Baumann, komme es neben der politischen Rahmensetzung natürlich auf das Verhalten des Einzelnen an. Der Bürger mit Verantwortungsbewusstsein, das auch über die eigenen originären Interessen hinausgehe, sei für den gelingenden Umweltschutz absolut unverzichtbar.
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